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Terror

Terror

Titel: Terror
Autoren: Dan Simmons
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diesen Männern allein gelassen.
    Back und Hood wollten sich also im Morgengrauen duellieren, und John Franklin konnte nichts anderes tun, als sich in der Hütte zu verkriechen und zu beten, dass der Ausgang des Zweikampfs  – ob Tod oder Verwundung – seiner ohnehin schon gefährdeten Expedition nicht den letzten Hauch von Vernunft rauben würde. In seinen Befehlen war nirgends davon die Rede gewesen, dass er für die eintausendzweihundert Meilen lange Reise über Land, auf Flüssen und durch Küstengewässer Lebensmittel mitbringen sollte. Aus seiner eigenen Tasche hatte er genügend Vorräte beschafft, um die sechzehn Männer einen Tag lang zu verpflegen. Franklin hatte angenommen, dass danach die Indianer für sie jagen und sie mit ausreichend Nahrung versorgen würden – schließlich trugen die Führer auch seine Taschen und trieben sein Birkenrindenkanu mit ihren Paddeln an.
    Die Birkenrindenkanus waren im Übrigen ein Fehler gewesen. Dreiundzwanzig Jahre später war er bereit, das zuzugeben – zumindest sich selbst gegenüber. Nach nur wenigen Tagen im eisdurchsetzten Wasser der Nordküste, die sie über eineinhalb Jahre nach dem Aufbruch von Fort Resolution erreicht hatten, begannen die zerbrechlichen Boote auseinanderzufallen.

    Mit geschlossenen Augen, brennender Stirn und dröhnendem Kopf lauschte Franklin halb auf den ununterbrochenen Strom von Janes Geplapper und dachte an den Morgen zurück, als er in seinem schweren Schlafsack gekauert und die Augen zugedrückt hatte, während Back und Hood draußen vor der Hütte ihre fünfzehn Schritte zurücklegten und sich zum Schießen umwandten.
    Die vermaledeiten Indianer und die vermaledeiten Voyageurs, die in vieler Hinsicht kaum zivilisierter waren, behandelten das Duell auf Leben und Tod wie ein unterhaltsames Schauspiel. Und Greenstockings, das wusste er noch, glühte an diesem Morgen schier vor erotischer Ausstrahlung.
    Obwohl er die Hände auf die Ohren presste, konnte Franklin alles deutlich hören: die Aufforderung zum Gehen, Wenden und Zielen und schließlich den Befehl zum Schießen.
    Dann knackte es zweimal. Lautes Lachen aus der Menge.
    In der Nacht hatte der alte schottische Seemann, der die Schritte abzählte, dieser raue, ungehobelte John Hepburn, Pulver und Kugeln aus den sorgfältig vorbereiteten Pistolen entfernt.
    Beschämt durch das beharrliche Gelächter oberschenkelklopfender Voyageurs und Indianer, staksten Hood und Back in entgegengesetzter Richtung davon. Bald danach erteilte Franklin George Back den Befehl, zu den Forts zurückzukehren und bei der Hudson’s Bay Company zusätzlichen Proviant einzukaufen. Back blieb fast den ganzen Winter fort.
    Franklin hatte seine Stiefel gegessen und Flechten von Felsen gekratzt, um sich davon zu ernähren – ein schleimiger Brei, den jeder englische Köter wieder von sich gegeben hätte. Doch Menschenfleisch hatte er nie zu sich genommen.
    Ein langes Jahr nach dem verhinderten Duell jagte der halb wahnsinnige Irokese Michel Teroahaute aus Richardsons Gruppe, von der sich Franklin mit seinen Leuten inzwischen getrennt
hatte, dem Seekadetten, Künstler und Kartographen Robert Hood eine Kugel mitten in die Stirn.
    Eine Woche vor dem Mord hatte der Indianer der Gruppe ein streng riechendes Stück Fleisch gebracht und behauptet, es stamme von einem Wolf, der entweder von einem Rentier aufgespießt oder von Teroahaute selbst mit einem Horn erlegt worden war – die Geschichte des Indianers veränderte sich ständig. Die völlig Ausgehungerten kochten und aßen das Fleisch, doch bevor es ganz verspeist war, bemerkte Dr. Richardson die Ahnung einer Tätowierung auf der Haut. Der Doktor war sich sicher, wie er Franklin später anvertraute, dass Teroahaute zur Leiche eines in der gleichen Woche gestorbenen Voyageurs zurückgekehrt war.
    Wenige Tage später waren der Indianer und der schon im Sterben liegende Hood allein im Lager, als Richardson, der weggegangen war, um Flechten von den Felsen zu schaben, einen Schuss hörte. Selbstmord , beteuerte Teroahaute, doch Dr. Richardson, der als Arzt schon einige Selbstmordwunden gesehen hatte, erkannte sofort, dass die Position der Kugel in Robert Hoods Gehirn einen selbst abgefeuerten Büchsenschuss ausschloss.
    Nun bewaffnete sich der Indianer mit einem britischen Bajonett, einer Büchse, zwei geladenen und halb gespannten Pistolen und einem Messer, so lang wie sein Unterarm. Den zwei Weißen – Hepburn und Richardson – blieben miteinander nur
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