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Terror

Terror

Titel: Terror
Autoren: Dan Simmons
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eine kleine Pistole und eine unzuverlässige Büchse.
    Richardson, inzwischen einer der angesehensten Wissenschaftler und Wundärzte Englands und Freund des Dichters Robert Burns, war damals nur ein vielversprechender Expeditionsarzt und Naturforscher. Er wartete ab, bis Teroahaute eines Tages, die Arme beladen mit Feuerholz, von einem Streifzug zurückkehrte, zückte die Pistole und schoss dem Indianer kaltblütig eine Kugel durch den Kopf.

    Später räumte Dr. Richardson ein, die Büffeldecke des toten Hood gegessen zu haben, doch weder er noch Hepburn – die einzigen Überlebenden ihrer Gruppe – erwähnten je mit einem Wort, wovon sie sich in der folgenden Woche auf dem mühsamen Marsch zurück nach Fort Enterprise ernährt hatten.
    Franklin und seine Leute, die dort gestrandet waren, konnten vor Schwäche nicht einmal mehr aufstehen. Richardson und Hepburn schienen dagegen in vergleichsweise guter Verfassung.
    Er mochte zwar der Mann sein, der seine Stiefel gegessen hatte, aber dafür hatte John Franklin nie …
    »Die Köchin macht heute Abend Rinderbraten, mein Schatz. Dein Leibgericht. Da sie neu ist – die irische Frau musste ich entlassen, weil sie bei der Buchführung geschwindelt hat, da bin ich mir sicher; Stehlen ist ja für die Iren so normal wie Trinken  –, habe ich sie noch einmal daran erinnert, das Fleisch unbedingt so zuzubereiten, wie du es am liebsten hast: dass es schon bei der Berührung mit dem Messer blutet.«
    Franklin, der gerade auf einer nachlassenden Fieberwelle dahinschwebte, wollte eine Antwort formulieren, doch das Brausen der Kopfschmerzen, der Übelkeit und der Hitze war zu stark. Sein Unterhemd und der immer noch starr am Hals sitzende Kragen waren schweißgetränkt.
    »Admiral Thomas Martins Frau hat uns heute eine ganz entzückende Karte und einen wunderbaren Blumenstrauß geschickt. Sie hat als Letzte etwas von sich hören lassen, aber die Rosen draußen im Vorzimmer sind wirklich schön, das muss ich zugeben. Hast du sie gesehen? Andererseits ist er nicht so wichtig, oder? Auch wenn er Revisor der Navy ist. Gewiss nicht so bedeutend wie der Erste Lord oder die Ersten Kommissare oder gar deine Freunde vom Arktischen Rat.«
    Sir John Franklin hatte zahlreiche Freunde; denn alle mochten Sir John Franklin. Nur respektierte ihn niemand. Seit Jahrzehnten
nahm Franklin Ersteres zur Kenntnis, ohne sich Letzterem zu stellen. Trotzdem war es auf irgendeine Weise zu ihm durchgedrungen. Alle mochten ihn. Niemand respektierte ihn.
    Zumindest nicht mehr seit Tasmanien. Seit seiner Verbannung auf die Insel und dem Pfusch, den er dort angerichtet hatte.
    Als er zu seiner zweiten großen Expedition aufbrach, war seine erste Frau Eleanor dem Tode nah.
    Er wusste, dass sie nur noch kurz zu leben hatte. Und sie wusste es auch. Ihre Schwindsucht und die Erkenntnis, dass sie daran sterben musste, lange bevor ihr Gemahl in der Schlacht oder auf einer Expedition sein Leben lassen würde, hatten die Trauungszeremonie wie ein stummer Gast begleitet. In den zweiundzwanzig Monaten ihrer Ehe hatte sie ihm eine Tochter geschenkt, die junge Eleanor – sein einziges Kind.
    Sie selbst – eine kleine, körperlich zarte Frau, die jedoch geistig über eine beinah furchterregende Kraft verfügte – hatte ihn aufgefordert, zu seiner zweiten Suchexpedition nach der Nordwestpassage aufzubrechen, eine Reise, die zu Wasser und zu Lande der nordamerikanischen Küste folgen sollte. Zu dieser Zeit hustete sie bereits Blut und spürte das nahende Ende. Sie meinte, es sei besser für sie, wenn er anderswo war. Und er glaubte ihr. Oder zumindest glaubte er, dass es besser für ihn war.
    Der tiefreligiöse John Franklin hatte darum gebetet, dass Eleanor vor seinem Aufbruch sterben möge. Doch so kam es nicht. Er verließ sie am 16. Februar 1825, schrieb ihr während der Überfahrt zum Großen Sklavensee viele Briefe, die er in New York und Albany abschickte, und erfuhr erst am 24. April auf dem britischen Flottenstützpunkt Penetanguishene von ihrem Dahinscheiden. Sie war kurz nach seiner Abreise aus England gestorben.
    Als er 1827 von dieser Expedition zurückkehrte, wartete Eleanors Freundin Jane Griffin auf ihn.

     
     
    Der Admiralitätsempfang hatte vor weniger als einer Woche stattgefunden – nein, genau vor einer Woche, vor dieser vermaledeiten Grippe. Selbstverständlich waren Kapitän John Franklin und all seine Offiziere erschienen. Desgleichen die Expeditionsteilnehmer, die keinen Marinerang
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