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Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)

Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)

Titel: Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
Autoren: Johanna Marthens
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hängte. Aufmerksam beobachtete sie die Handgriffe der jungen Frau, ob sie auch alles richtig machte und ihre Sachen keinen Schaden nahmen. Ihren wachen Augen entging nicht die leiseste Regung. Rosemarie Jonas war vielleicht alt, aber nicht senil. Und sie legte größten Wert auf ihre Kleidung. Wenn in dieser Welt schon Anstand und Ordnung immer mehr den Bach runtergingen, so wollte sie die letzte Festung sein, die an Regeln und Prinzipien glaubte. Sie verließ das Haus nur wie aus dem Ei gepellt, geputzte Schuhe und saubere Wäsche waren ein Muss. Obwohl sie nur mit Ach und Krach mit ihrer Rente auskam, empfand sie es als notwendig, wie eine Dame zu wirken. Und zur Not konnte auch das älteste Kleid durch leichte Änderungen und Umarbeiten in ein Schmuckstück verwandelt werden.
    „Nein, ich dachte, es wäre Samira“, erklärte Kiara ihre Gefühlsregung an der Tür.
    „Samira ist deine dürre Freundin, die denkt, sie könne Model werden? Was hat sie getan, dass du dich vor ihr fürchtest?“
    „Nichts.“ Kiara wollte ihr die Sachlage genauer erklären, doch Franziska Jonas unterbrach das Gespräch, als sie aus der Küche kam und ihre Mutter begrüßte.
    Man könnte die Umarmung der beiden Frauen vielleicht als ein wenig unterkühlt bezeichnen, aber der äußere Eindruck täuschte. Wer die beiden Frauen kannte, wusste, dass in jeder ein Vulkan schlummerte, der nur darauf wartete, wieder zum Ausbruch kommen zu dürfen.
    Der Urenkelin gegenüber verhielt sich die Alte nur geringfügig herzlicher. Aber das lag daran, dass sie Kinder für kleine Monster hielt, die ungeschickt alles zerstörten, was ihnen in die Finger kam, schmutzig waren und nur Unsinn redeten.
    „Da komme ich auf meinem Weg vom Romméclub hier vorbei und sehe, es sind vier Generationen von Jonas-Frauen in dieser Küche vereint“, sagte sie und setzte sich an den freien Küchentisch vor den Kuchenteller. „Ich hoffe sehr, es werden nicht bald fünf.“ Sie warf einen kritischen Blick auf Lea, die die Anspielung jedoch nicht verstand und sich wieder ihrer Matheaufgabe widmete.
    „Mama, was ist nun mit den Achteln?“
    Kiara sah unruhig auf die Uhr. Es war eigentlich höchste Zeit, dass sie sich umzog, um für die Party mit Samira fertig zu sein.
    Dennoch trat sie an den Tisch heran, um sich wieder dem Matheproblem ihrer Tochter zu widmen.
    Doch die Älteste im Raum kam ihr zuvor. „Wie alt bin ich?“, fragte sie die Kleine.
    Hilfesuchend sah Lea zu ihrer Mutter.
    „Achtzig“, antwortete Kiara, was ihr einen strafenden Blick von ihrer Großmutter einfing.
    „Stimmt ausnahmsweise. Und du, Lea?“
    „Zehn.“
    „Wenn du mein Alter durch dein Alter teilst, was kommt dabei heraus?“
    „Achtzig durch Zehn? Acht.“
    „Genau. Das heißt, dein Alter ist ein Achtel von meinem Alter.“
    „Wirklich?“
    „Wirklich. Aber nur in diesem Jahr. Nächstes Jahr sieht das schon wieder anders aus.“
    „Ich weiß nicht, ob das so hilfreich ist“, griff Franziska ein.
    „Natürlich ist das hilfreich“, antwortete die Alte schnippisch und sah zu Kiara, die schon wieder auf die Uhr blickte. „Ich kann es auch mit Kuchen und halben Kästchen erklären, wenn euch das lieber ist. Dann kann sich Kiara endlich umziehen, damit sie mit dem Model mithalten kann.“
    Kiara lächelte erleichtert. „Das wäre nett. Gemeinsam schaffen wir es, der Mathematik die Stirn zu bieten.“
    Die beiden älteren Frauen nickten zustimmend und beugten sich über die kleine Lea, die immer noch mit der Bruchrechnung haderte.
    Kiara hingegen lief aus der Küche in ihr winziges Zimmer am Ende des Flurs, das eigentlich mal ein großes gewesen, aber nun in zwei Hälften geteilt worden war, um mal bei der Bruchrechnung zu bleiben. Die eine Hälfte bewohnte Lea, die andere Kiara. Nur eine dünne Wand trennte die beiden voneinander.
    Kiara eilte zum Schrank und suchte nach einem passenden Kleid, doch keines gefiel ihr. In dem einen fühlte sie sich zu dick, in dem anderen betonte der Träger ihre (angeblich) dicken Oberarme. Das dritte war zu hell, das andere zu dunkel. Ein weiteres besaß eine offene Naht, die erst noch genäht werden müsste. Schließlich entschied sie sich gänzlich gegen ein Kleid und stattdessen für eine enge schwarze Jeans und ein knallrotes One-Shoulder-Shirt. Im Bad schminkte sie sich ihre Lippen in einem passenden Rotton und steckte ihr Haar hoch. Ein paar Strähnen ließ sie jedoch nach unten fallen, damit sie ihre (angeblich) abstehenden Ohren
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