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Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)

Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)

Titel: Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
Autoren: Johanna Marthens
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Wochenende!“
    „Werde ich haben.“
    Er ging zurück in das Krankenzimmer und blieb im Türrahmen stehen, um Luft zu holen. Als sich sein Blutdruck einigermaßen stabilisiert hatte, lauschte er hinaus, ob noch irgendwo ihre Stimme zu hören war. Als alles still blieb, widmete er sich wieder seiner Arbeit. Er musste schnellstens kontrollieren, ob er auch wirklich das richtige Essen beim Patienten abgeliefert hatte. Der Mann, der sich den Magen verkleinern lassen wollte, um von seinen zweihundert Kilo, die er wog, ein paar zu verlieren, hatte es jedoch bereits aufgegessen, es war also zu spät für einen Austausch.
    „Sie sind in sie verliebt“, stellte der Patient fest und blinzelte vor Rührung eine Träne aus den Augen, die schmal und klein über seinen prallen Wangen lagen.
    „Wie kommen Sie denn darauf?“, fragte Holger erschrocken. „Sie ist nur eine Kollegin. Mehr läuft da wirklich nicht“, fügte er schnell hinzu, um den Verdacht unverzüglich aus der Welt zu schaffen.
    Der Mann grinste. „Ich kenne die Symptome. Wenn ein junger Mann alles stehen und liegen lässt und mir ein leckeres Steak statt Diätbrei auftischt, dann ist da was im Gange.“
    „Oh nein!“, rief Holger entsetzt. „Haben Sie das Steak gegessen? Das ist gar nicht gut für Sie!“
    „Ach, was soll’s“, erwiderte der Patient und leckte sich die Lippen. „Warum soll man darben, wenn das Leben doch so viele schöne Dinge bereithält. Ein Steak mehr oder weniger wird mich nicht gleich umbringen.“
    „Das hoffe ich auch“, murmelte Holger. „Ich hänge an meinem Job. Und den würde ich verlieren, wenn das mit dem falschen Essen herauskäme.“
    „Danke“, nickte der Patient ungerührt. „Danke, dass Sie sich mehr um Ihren Job als um mein Leben sorgen.“
    „Nein, so war das nicht gemeint!“, korrigierte Holger seinen Fehler. „Ich muss diesen Job unbedingt behalten, weil ich Kiara sonst nicht mehr sehen kann.“ Den letzten Teil des Satzes flüsterte er mehr, als dass er ihn sprach. Doch der Patient hatte ihn verstanden.
    „Das sehe ich ein. Da bin ich natürlich nebensächlich.“
    „Ich habe jetzt schon immer Mühe, meine Schichten so zu legen, dass ich mit ihr gemeinsam arbeiten kann. Manchmal muss ich die Oberschwester bestechen, manchmal eine Kollegin ausbooten. Das ist nicht leicht.“
    „Dann muss sie wirklich toll sein. Wie sieht sie aus?“
    „Wie ein Engel“, schwärmte Holger und sah mit verklärtem Blick hinaus in den regnerischen Märztag, als würde er seinen Engel dort fliegen sehen.
    Hätte der Patient Kiara beobachten können – und zwar nicht mit ihren kritischen, aber auch nicht mit Holgers schwärmerischen Blicken, sondern als objektiver Betrachter –, hätte er eine attraktive, junge Frau Anfang Zwanzig entdeckt, die sympathisch lächeln konnte und eine durchaus annehmbare Figur hatte. Er hätte ihre freundlichen Züge in dem ausdrucksvollen Gesicht bemerkt, das zurückhaltende Auftreten und vielleicht sogar den schwermütigen Zug um ihre Augen, der von einem Ereignis in ihrer Vergangenheit erzählte, das ihre Lippen sich weigerten auszusprechen. Vielleicht hätte er sich gefragt, woher dieser Zug stammte und ihr ein mitfühlendes Lächeln gezeigt.
    Doch der Patient konnte sie nicht sehen. Daher grinste er nur und wischte sich erneut eine Träne weg.
    „Dann lassen Sie sie nur nicht davonkommen.“
    Holger riss sich aus seinen Betrachtungen. Sein Blick wurde ernst. „Ich weiß nur nicht, ob sie mich auch mag.“
    Der Mann zuckte mit den Schultern. „Das weiß man nie, bevor man es nicht probiert hat.“
    Holger nickte. „Sie haben vermutlich Recht.“
    „Natürlich habe ich Recht.“
    Holger räumte das leere Geschirr ab, während er mit dem Mann noch ein paar Gedanken über den Vorteil von Hirsebrei bei Magenleiden austauschte, dann ging er in das Schwesternzimmer, um sich umzuziehen. Dabei fiel sein Blick auf den Spiegel an der Wand.
    Ihn konnten weder ein objektiver Beobachter noch er selbst oder eine wohlwollende Bewunderin als attraktiv bezeichnen. Sein Körper war zu dünn, Muskeln so gut wie nicht vorhanden, sein Bart zu spärlich, das braune Haar zu borstig, seine Ohren definitiv abstehend und seine hellblauen Augen eher nichtssagend. Ein Engel wie Kiara konnte kein Interesse an ihm haben, wenn sie einigermaßen bei Verstand war. Deshalb hatte er es bisher noch nicht gewagt, ihr seine Gefühle für sie zu beichten oder sie um eine Verabredung zu bitten. Er wollte gar nicht daran
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