Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Teller, Janne

Teller, Janne

Titel: Teller, Janne
Autoren: Nichts
Vom Netzwerk:
schon
bald wenden und in die andere Richtung entwickeln, bis es dunkel und kalt war
und keine Blumen mehr zu sehen waren und auch kein Laub mehr an den Bäumen. Das
Frühjahr war zu nichts anderem gut, als uns daran zu erinnern, dass auch wir
bald verschwunden waren.
    Jedes Mal,
wenn ich einen Arm hob, war es eine Erinnerung daran, wie bald er sinken und
sich in nichts verwandeln würde. Jedes Mal, wenn ich lächelte und lachte, wurde
mir schlagartig bewusst, wie oft ich mit demselben Mund, den selben Augen
weinen würde, bis sich diese Augen eines Tages für immer schlossen und andere
lachen und weinen würden, bis auch sie unter der Erde lagen. Nur die Bahn der
Planeten über den Himmel war ewig, und das auch nur bis uns Pierre Anthon eines Morgens zurief, das Universum sei dabei, sich
zusammenzuziehen und eines Tages käme der totale Kollaps, ein umgekehrter Big
Bang. Alles würde so klein und verdichtet, dass es wie Nichts war. Nicht einmal
an die Planeten zu denken, war auszuhalten. Und so war es mit allem. Nichts
war zum Aushalten.
    Zum
Aushalten. Aushalten. Alles, nichts, gar nichts. Wir gingen umher als
existierten wir nicht. Ein Tag war wie der andere. Und auch wenn wir uns die
ganze Woche aufs Wochenende freuten, war das Wochenende doch immer eine
Enttäuschung, und dann war es wieder Montag, und alles fing von vorne an, und
das war das Leben und nichts sonst. Wir begannen zu
verstehen, was Pierre Anthon meinte. Und wir begannen
zu verstehen, warum die Erwachsenen so aussahen, wie sie es taten. Und auch
wenn wir uns geschworen hatten, nie so wie sie auszusehen, war genau das
passiert. Wir waren noch nicht mal fünfzehn. Dreizehn. Vierzehn. Erwachsen.
Tot.
     
    Nur Sofie widersprach Pierre Anthon noch,
wenn wir am Taeringvej 25 und dem krummen
Pflaumenbaum vorbeigingen.
    »Das hier
ist die Zukunft !« , rief Pierre Anthon und machte mit der Hand eine große Geste, wie um uns zu zeigen, dass alles
getan und für uns nichts übrig sei als Taering und
die Sinnlosigkeit.
    Wir
anderen senkten die Köpfe. Nicht so Sofie. »Die Zukunft ist das, was wir aus
ihr machen«, rief sie zurück. »Blödsinn«, schrie Pierre Anthon .
»Es gibt nichts, woraus man etwas machen könnte, denn nichts hat etwas zu
bedeuten !«
    »Eine
ganze Menge hat etwas zu bedeuten !« Wütend warf Sofie
eine Handvoll kleiner Steine nach Pierre Anthon .
Manche trafen, aber nicht so fest, dass es ihm etwas ausmachte. »Komm mit zum
Sägewerk, dann kannst du sehen, was etwas zu bedeuten hat .«
    Mir wurde
klar, dass Sofie wirklich meinte, was sie sagte. Der Berg aus Bedeutung war für
sie die Bedeutung. Oder vielleicht sollte ich besser sagen, der Berg aus
Bedeutung hatte für sie eine Bedeutung, die er für uns andere nicht mehr hatte.
»Euer Gerumpel bedeutet nichts! Sonst wäre die Weltpresse noch immer hier, und
die Bevölkerung der ganzen Welt würde nach Taering pilgern, um an der Bedeutung teilzuhaben .«
    »Du willst
den Berg aus Bedeutung nur nicht sehen, weil du dich nicht traust !« , rief Sofie, so laut sie konnte. »Hätte euer Misthaufen
auch nur die geringste Bedeutung, gäbe es nichts, was ich lieber wollte«, sagte
Pierre Anthon herablassend und fuhr bescheiden, fast
mitleidig fort: »Aber die hat er nicht, denn sonst hättet ihr ihn doch wohl
nicht verkauft ?«
    Zum ersten
Mal seit der Sache mit der Unschuld sah ich Tränen in Sofies Augen.
    Sie
wischte sie heftig und so schnell mit der Faust weg, dass ich hinterher
zweifelte, ob ich richtig gesehen hatte. Sie gab Pierre Anthon keine Antwort. Und von da an ging sie auf einem Umweg zur Schule.
     
    Bis zum achten April blieb nur noch eine Woche. Nur noch eine Woche,
bis das Museum den Berg aus Bedeutung verpacken, versiegeln und verschicken
würde. Nur noch eine Woche, bis Pierre Anthon für
immer recht bekam.
     
    Wir anderen
hatten stillschweigend aufgegeben, aber wenn auch Sofie aufgeben würde, wäre
das trotzdem nicht zu ertragen. Und es war kurz davor. Glaubte ich. Aber Sofie
gab nicht auf. Sofie verlor den Verstand.
     
    23
     
    Das kam
ganz plötzlich. Als wir allerdings darüber nachdachten, wurde uns bewusst,
dass es sich seit geraumer Zeit angekündigt hatte. Gerade noch stand Sofie
friedlich und freundlich mit uns anderen im Sägewerk. Im nächsten Moment
rannte sie los, schlug mit dem Kopf gegen die Pfeiler, kickte mit dem Fuß
Sägespäne auf den Berg aus Bedeutung, und sie wäre hinaufgeklettert und hätte
ihn auseinandergefetzt, wenn Ole und der große Hans sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher