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Teeblätter und Taschendiebe

Titel: Teeblätter und Taschendiebe
Autoren: Charlotte MacLeod
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daß Dolph kein Rudolph Valentino ist. Er wirkt manchmal ziemlich bombastisch, und ich behaupte auch gar nicht, daß er eine intellektuelle Leuchte ist im Vergleich zu seiner ach so feinen Verwandtschaft, womit ich natürlich nichts gegen dich sagen will, Jem, schließlich warst du dir nicht zu fein, ins Center zu kommen und den lieben alten Damen schlüpfrige Lieder vorzusingen. Aber Dolph ist nun mal felsenfest davon überzeugt, daß es seine Pflicht ist, Gutes zu tun. Man kann es ihm förmlich ansehen. Wenn ihr keinen Pfennig in der Tasche und kein Dach über dem Kopf hättet und würdet diesem großartigen, wunderbaren, reichen Mann begegnen, und er würde euch wie seinesgleichen behandeln und dafür sorgen, daß ihr etwas Warmes in den Magen bekämt, und euch ein Leben im Überfluß zu Füßen legen ...«
    Einen Moment lang war sie so bewegt, daß sie nicht weitersprechen konnte, doch dann fuhr sie beinahe leidenschaftlich fort. »Glaubt ja nicht, daß ich die einzige bin, die ihn liebt. Die Leute im Center halten ihn für den lieben Gott höchstpersönlich oder zumindest für jemanden, der ihm ziemlich nahekommt. Und du kannst von mir aus soviel über mich lachen wie du willst, Jem Kelling.«
    »Es würde mir nicht mal im Traum einfallen, über dich zu lachen, liebste Mary«, versicherte Jem und klang dabei für seine Verhältnisse erstaunlich ernst. »Jeder, der es geschafft hat, mit Tante Matilda und Onkel Fred jahrelang zusammenzuleben, ohne sie zu erschlagen, und das noch dazu in einem Haus, das vollgestopft ist mit Gegenständen, die sich als Mordwaffe geradezu anbieten, verdient es, schon allein deshalb zum Heiligen erklärt zu werden, würde ich sagen. Und jetzt erfahre ich obendrein, daß er sich auch noch freiwillig mit diesem infantilen Würstchen Osmond Loveday herumschlägt. Erinnerst du mich bitte daran, daß ich morgen früh als al-lererstes im Vatikan anrufe und mich nach der Möglichkeit einer vorgezogenen Heiligsprechung erkundige, Sarah? Naja, vielleicht verlege ich es doch lieber auf den Nachmittag. Ah, da naht seine potentielle Heiligkeit ja bereits wieder. Was war denn los, Adolphus?«

Kapitel 2

    Dolphs Gesicht verhieß nichts Gutes. Noch bevor er ein Wort gesagt hatte, wußten alle, daß etwas Schlimmes passiert sein mußte. Mary griff nach der Hand ihres Gatten. »Was ist denn los, Schatz?« »Chet Arthur ist überfallen worden.«
    »Oh, Dolph, wie furchtbar! Chet gehört zu unseren ältesten Stammgästen«, erklärte Mary den anderen. »Wir kennen ihn seit der Eröffnung des Centers. Ist er verletzt?«
    »Er ist tot.«
    »Aber wer -«
    »Ich weiß es nicht, Mary. Man hat ihn in der kleinen Gasse zwischen der Beacon und Marlborough Street gefunden, in der Nähe der Massachussetts Avenue. Alles, was er an Papieren bei sich hatte, war der Mitgliedsausweis vom Senior Citizens' Recycling Center, daher hat die Polizei auch versucht, dort anzurufen, aber nur die Nummer für Notfälle bekommen, und die gehört Osmond, weil er in der Nähe wohnt.«
    »Und Osmond ist natürlich nichts Besseres eingefallen, als alles sofort auf dich abzuwälzen. Und was sollen wir seiner Meinung nach tun?«
    »Naja, ist zwar verdammt unangenehm, aber irgendjemand muß schließlich zum Leichenschauhaus fahren und ihn identifizieren, Mary.«
    »Und warum kann Osmond nicht selbst hingehen? Meine Güte, der Mann wohnt schließlich mitten in der Stadt.«
    »Angeblich ist er unpäßlich. Ich mich zwar auch, aber was soll's? Tut mir leid, Leute, aber ich fürchte, ihr müßt mich entschuldigen.«
    Max Bittersohn war bereits aufgesprungen. »Komm schon, Dolph, ich weiß doch, wie ungern du im Dunkeln fährst. Ich fahr' dich schnell in deinem Wagen hin, die anderen können dann meinen nehmen, wenn sie aufbrechen möchten.«
    »Ich fahre mit«, sagte Sarah.
    Die Diskussion endete schließlich damit, daß außer Mary alle aufbrachen.
    »Es macht dir doch nichts aus, wenn ich nicht mitkomme, Dolph? Ich glaube, ich sollte wirklich hierbleiben und Genevieve in der Küche helfen. Sie ist bestimmt hundemüde.«
    Was Sarah zu bezweifeln wagte. Für Mary arbeiten zu dürfen, mußte das reine Paradies für Genevieve sein, nachdem sie so viele Jahre unter der Fuchtel von Großtante Matilda gestanden hatte. Im übrigen tat Dolph alles, um die kleine Person zu schonen, er packte mit an, so oft er nur konnte, und Mary war eine zu gute Ehefrau, um ihm die Show zu verderben.
    Als sie sich für die Fahrt fertig machten, wurde sich Sarah
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