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Tausche Brautschuh gegen Flossen

Tausche Brautschuh gegen Flossen

Titel: Tausche Brautschuh gegen Flossen
Autoren: Juliane Kobjolke
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Halbschlaf, wälze mich die halbe Nacht
von rechts nach links und schaffe es dennoch nicht, aufzustehen und ins Bett zu
gehen. Irgendwann schlummere ich ein und werde nach nur wenigen Stunden von etwas
Feuchtem auf meiner Wange geweckt. Als ich die Augen öffne, blicke ich in hungriges
Grün. Momo, unser Kater, macht mit einem Miau noch deutlicher, dass er gefüttert
werden möchte, gibt sich vorerst jedoch damit zufrieden, mich geweckt zu haben und
kuschelt sich an mich. Immer wieder stupst er seine Nase gegen mein Kinn und schnurrt.
Keine halbe Stunde später ist sein Appetit vergessen, und der Kater scheint entschlossen,
den Rest des Tages mit süßem Nichtstun zu verbringen.
    Das habe ich nicht vor.
    Ich habe vor, an der Uhr zu drehen.
Wie Paulchen Panther. Nur rückwärts.
     
    Nachdem ich den Kater mit Whiskas und mich selbst mit Knusperflakes
versorgt habe, ziehe ich meine Kuschelstrickjacke über, wickele mir einen Schal
um den Hals, schnappe Bleistift, Skizzenblock und Musik und laufe eine Etage nach
oben auf unsere Dachterrasse.
    Endlich regnet es nicht mehr. Die
Aussicht, die der Morgen präsentiert, lässt einen grandiosen Tag vermuten, einen
Tag voller Euphorie und wunderbarer Dinge, die es zu entdecken und zu unternehmen
gibt. Und sie lässt mich beinahe vergessen, dass ich über das sonst so triste Mühlhausen
blicke.
    Zu jeder Jahreszeit gibt es solche
Morgen, die nichts als pur sind und bei denen jeder Vergleich mit Tristesse einer
Beleidigung gleichkommt. Wie unter einem Zauber hüllt sich meine Stadt in einen
Schleier aus Nebel. Die Sonne steht noch tief und legt einen goldenen Schimmer über
die Dächer und Kirchtürme. Von der nahen Hauptstraße ertönt das Jaulen eines Martinhorns,
das Brummen von Bussen und LKW – demnächst fordern sicher auch die Mühlhäuser eine
Umgehungsstraße. Wie ungewohnt still wird es dann sein?
    Ich setze die Kopfhörer auf und
schalte die Musik ein. Statt der Verkehrsgeräusche gibt es Pearl Jam auf die Ohren.
Nun ist die Aussicht wirklich perfekt, die Stimmung inspirierend und eine Kur für
alle Sinne. Gar nichts ist mehr unerträglich. Was jetzt noch nicht gut ist, wird
gut werden. Und ich bin nicht allein, bloß weil gerade niemand da ist.
    › Da ist eine
Wolke‹, singt Eddie Vedder mit seiner Reibeisenstimme, ›aber das Wasser bleibt ruhig.‹
    Ich schließe die Augen, lege den
Kopf zurück und lasse den Geist treiben, die Gedanken spinnen. Ich warte auf ein
Bild, auf eine Farbe, auf einen Kuss der Muse. Lange ist es her, dass ich mein letztes
Bild gemalt habe. Die Examensarbeit und die Hochzeitsvorbereitungen beanspruchten
jede Stunde der vergangenen Monate und ich vermisste nichts, hatte bei all meinen
Geistesblitzen und Einfällen keinen Platz in meinem Kopf für Ideen in Acryl. Wahrscheinlich
hat die Muse sogar das ein oder andere Mal versucht, mich zu stoppen und mir zugerufen,
dass ich eine Pause benötige, doch ich hab sie nie gesehen, weil ich viel zu schnell
an ihr vorbeigejoggt bin. Jetzt schmollt sie und verweigert mir den Kuss. Sie erwartet,
dass ich um sie kämpfe, was ich hiermit mache.
    Oh du meine Muse!, versuche ich
sie zu locken, komm zurück zu mir! Versüße mir den Tag! Lass mich malen! Ich werde
dich nie wieder übersehen! Bitte, allerliebste Muse!, flehe ich sie an, sei nicht
mehr böse, ich brauche dich doch.
    Sie macht keine Anstalten. Sie ist
wie vom Erdboden verschluckt. Und mit ihr mein Talent.
    War das wirklich ich, die all die
Bilder gemalt hat? Bin ich überhaupt gerade ich selbst oder ein alternatives Ich?
Wer ist diese trübsinnige Person, die mein Inneres belagert?! Wieso verschwindet
sie nicht und gibt mir mein Selbst zurück? Mein überholspursüchtiges, spritziges
Tausendsassa-Selbst.
    Per Knopfdruck bringe ich Eddie
zum Schweigen und öffne die Augen. Das Licht ist noch das gleiche, doch die Stimmung
ist dahin. Alles andere als glücklich schiele ich auf den leeren Skizzenblock zu
meinen Füßen. Ein Murren ausstoßend ziehe ich die Kopfhörer von meinen Ohren und
kicke den Bleistift fort. Einen Pinsel werde ich mit Sicherheit nicht anrühren.
     
    Am Nachmittag tröste ich Momo mit dem Versprechen, nicht lange weg
zu sein, und ziehe die Haustür hinter mir ins Schloss.
    Nach Ladenschluss bin ich zurück
und schleppe prall gefüllte Einkaufstaschen ins Schlafzimmer. Auf Momos Miau antworte
ich mit: »Ja doch, gleich.« Herr Nimmersatt hat Hunger, doch ich war auf Beutezug.
Nun muss ich meinen Fang in Augenschein nehmen
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