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Tausche Brautschuh gegen Flossen

Tausche Brautschuh gegen Flossen

Titel: Tausche Brautschuh gegen Flossen
Autoren: Juliane Kobjolke
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und eine Hymne auf die Shoppingmeile
von Erfurt anstimmen. Ich habe meine letzten Hunderter auf den Kopf gehauen, aber
das war es wert. Was sind schon 500 Euro, wenn man ohnehin pleite ist?
    Ich kenne nicht viele Frauen, die
nicht gern einkaufen. In Abhängigkeit von der Tagesform sind Shopping-Eskapaden
mal Vergnügen, mal Therapie, mal Zeitgeist. Nicht selten sind sie eine Kombination
aus allem. Ist der Strand tabu, weil es im Urlaub regnet, kann man immer noch shoppen
gehen. Hat man eine Prüfung in den Sand gesetzt, ein liebes Haustier beerdigt oder
das Gegenteil von Mamas Vorstellungen getan – das ultimative Heilmittel für jede
miese, durch was auch immer verursachte Stimmung ist Shopping. Durch regelmäßige
Ausflüge läuft man zudem nie Gefahr, eine gute Kollektion zu verpassen.
    Zum Einkaufen brauche ich nicht
zwingend Gesellschaft. Ich bin ebenso gern allein unterwegs und mein eigener Berater.
Ohnehin ist mein Geschmack selten der von anderen, und so vermeide ich den Vorschlag,
es zur Abwechslung mit einer Farbe zu versuchen.
    Auch heute
hatte ich eine richtig gute Zeit, wie man an der Anzahl der Tüten unschwer erkennen
kann.
    Während ich auspacke, die Preisschilder
abschnippele und die Sachen im Schrank verstaue, nachdem ich alles noch einmal anprobiert
habe, kommen mir erste Zweifel. Brauchte ich unbedingt eine neue schwarze Hose?
Mussten es zwei Paar Stiefel sein, hätte nichts eines gereicht? Und ist die graue
Tunika nicht eigentlich viel zu lang?
    Mit einem Ruck werfe ich die Schranktür
zu und lasse mich rücklings auf das Bett fallen. Ich habe heute 500 Euro ausgegeben!
Bekäme ich endlich ein Gehalt überwiesen, wäre das völlig okay, aber so? Wie viele
Dosen Katzenfutter hätte ich für 500 Euro kaufen können? 1.200?
    Momo springt aufs Bett, um mich
abermals anzumiauen, und wieder antworte ich ihm, als spräche ich kätzisch. Oder
er deutsch.
    Meine eigenen Gedanken gehen mir
auf den Geist. Ich brauche jemand anderen als meinen Kater, egal wie verständnisvoll
er mich anschaut. Ich muss reden. Nicht jammern, sondern ein normales Gespräch führen,
und nicht miauen.

September-Manie
     
    Der nächste Tag bringt endgültige Ernüchterung.
Es regnet wieder. Kleine Regenbäche träufeln die Fensterscheiben hinab. Dahinter
dunkelt es bereits. Zehn Stunden sind vergangen, seit ich mich aus den Federn gequält
habe. Zehn Stunden, in denen ich absolut nichts getan habe. Zumindest nichts, was
ich als sinnvoll bezeichnen möchte. Ich habe versucht fernzusehen, versucht zu lesen
und meine Muse verflucht.
    Ich fühle mich
verwundet, wie grausam herausgerissen aus dem Hoch des Sommers, fort von Wärme und
Licht. Vorbei sind die Grillpartys und nächtlichen Badeausflüge, die Open-Air-Konzerte
und Barfußzeiten. Das Laub hat sein Grün gegen ein Bunt getauscht und rieselt von
den Zweigen. Die pummeligen Junikäfer sind tot. Die Grillen zirpen nicht mehr. Bald
ziehen die Schwalben und Wildgänse in den Süden.
    Nach einem
gleichgültig zusammengewürfelten Abendessen fahre ich den Computer hoch.
    Das World Wide Web bietet vielfältige
Möglichkeiten gegen Langeweile. Man kann einkaufen, an Auktionen teilnehmen, den
Urlaub in Indien buchen und schauen, wie das Wetter dort sein wird. Man kann sich
informieren und fortbilden, hundert Versionen von Mah-Jongg spielen, Musik aus Japan
hören und mit Google die ganze Welt bereisen. Man kann Texte in falsches Englisch
übersetzen, sich um Jobs in Kalifornien bewerben, das Leben von weltweit verstreuten
Bekannten verfolgen und kommentieren und überhaupt überall seinen Senf dazugeben.
Man kann recherchieren, wie man Brandade mit Kabeljau zubereitet, oder in Erfahrung
bringen, unter welcher Form von Kopfschmerz man leidet, um sogleich Medikamente
zur Abhilfe zu bestellen. Man kann E-Mails schreiben oder neue Leute über Singlebörsen
und in Chaträumen kennenlernen. Und wenn einem echte Mitmenschen nicht gefallen,
macht man sich einen Avatar, heiratet einen anderen und kreiert Avatar-Kinder.
    Immer öfter stelle ich fest, dass
ich meiner Oma auf die Frage: »Woher hast du das?« mit »Aus dem Internet« antworte.
Sie findet, es ist ein toller Laden. Ich finde, es gibt keinen Grund mehr, das Haus
zu verlassen.
    Als ›Kit Black‹ logge ich mich in
einen Chat ein, den ich vor Jahren hin und wieder besucht habe.
    Zwei Stunden lang wechsele ich kein
einziges vernünftiges Wort und habe genug des Nonsens. Eben verabschiede ich mich
von einem Menschen, der nur betrunken
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