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Taubenkrieg

Taubenkrieg

Titel: Taubenkrieg
Autoren: S Lüpkes
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schmächtigen Körpers angespannt haben, anders konnte er in einer solchen Haltung kaum das Gleichgewicht halten. Gerade wie ein Pfosten mit leichter Schräglage nach vorn, die Arme eng am zweireihigen Sakko, dann machte er einen beachtlichen Schritt, ging haarscharf an Wencke vorbei und lief zum Wagen. »Das sehe ich anders. Und ich bin mir sicher, Oberstaatsanwalt Gauly wird mir beipflichten. Hier bricht gerade ein Krieg aus!« Und als Wachtel einstieg in das Gefährt mit verspiegelten Fenstern, knurrte er noch einmal unüberhörbar: »Krieg!«

|23| Die Zwei
steht als Zahl für Gegensätzlichkeiten wie oben und unten, gut und böse, richtig und falsch
    Kaum hatte ein Uniformierter die Türen aufgeschoben, füllte sich der Saal, als hätte man eine Schleuse geöffnet. Und mit jeder Person, die den Sitzungsraum des Polizeipräsidiums betrat, wurde Boris Bellhorn der Kragen seines Polohemdes enger. Seine Sache war das hier nicht.
    Schon allein die Aussicht darauf, gleich vor all diesen Menschen und der Presse ein Statement abgeben zu müssen, war schlimm genug. Was ihn aber richtig zum Schwitzen brachte, war diese Luft, in der man mehr riechen konnte als die Ausdünstungen von Journalisten, Polizisten, Justizvertretern und Rockern. Es waberte etwas Ungutes im Raum. Testosteron vielleicht.
    Gott sei Dank musste er kein ganzer Mann sein. Zumindest nicht einer der Art, die sich durch grimmige Visagen, verschränkte Armhaltung und schwere Kleidung Respekt zu verschaffen erhoffte. Die Zeiten waren vorbei. Damit war er durch, ein für allemal.
    Damals, als er das Thema seiner Diplomarbeit bekannt gegeben hat, musste er sich vom Prof und den Kommilitonen so manchen Spruch anhören, es hätte was mit seiner sexuellen Orientierung zu tun, dass er sich ausgerechnet mit Männerbünden auseinandersetzen wolle. Hatte es aber nicht. Fakt war |24| doch: Hätte eine Frau das Thema gewählt, wäre bei den Soziologen das Alarmsignal losgegangen. »Halt, die hat ein Problem, sich mit ihrem Geschlecht zu identifizieren oder dem anderen zu begegnen!« Und bei Schwulen schmissen sie dann womöglich gleich sämtliche Sirenen an. Doch das war nicht der Grund, weshalb Boris sich entschlossen hatte, sich in seiner Abschlussarbeit mit diesen männerdominierten Parallelgesellschaften auseinanderzusetzen. Spaß hatte es irgendwann nicht mehr gemacht, monatelang das patriarchalische Geschwätz von Mut, Stärke, Macht und Kampf über sich ergehen zu lassen. Es war kaum zu erwarten, dass sich jemals ein Rocker auf den Hintern setzen und eine qualifizierte Abhandlung verfassen würde, die sich mit den militanten Strukturen seiner Ersatzfamilie beschäftigte.
    »Herr Bellhorn, ich grüße Sie. Schön, dass Sie es noch einmal von Hannover hierher geschafft haben.« Eine mittelgroße, mittelschlanke Mittvierzigerin reichte ihm die Hand und lächelte freundlich. »Sieglind Maschler, Staatsanwaltschaft. Sie sind, soweit ich informiert bin, gestern bereits meinem Chef, dem Oberstaatsanwalt Gauly, am Tatort begegnet.«
    »Ja, ich dachte auch, er übernimmt den Fall persönlich.«
    »Wie Sie sehen, sitze ich aber nun an seiner Stelle.« Darauf schien die Juristin auch mächtig stolz zu sein.
    Sie setzte sich neben ihn, ließ die Scharniere ihres schwarzen Aktenkoffers aufschnappen und holte den Ordner hervor, der mit »Rockerkrieg« betitelt war und bereits über einen beachtlichen Umfang verfügte. Insbesondere, wenn man bedachte, dass die Meldung vom Tatort am Pinnower See erst vor rund sechsunddreißig Stunden eingegangen war. Sieglind Maschler blätterte das Ganze noch einmal im Schnellverfahren durch: Fotos, Aussagen, Ermittlungsergebnisse. Auch der Bericht von Wencke Tydmers hatte schon den Weg zwischen ihre Aktendeckel gefunden. Die Staatsanwältin würdigte ihn keines Blickes.
    |25| »Ich hoffe, die Zusammenarbeit mit unserem werten Kriminalhauptkommissar Wachtel und seinen Leuten war zufriedenstellend?« Sie rückte ihm ein wenig mehr auf die Pelle. »Dass es hier den einen oder anderen gibt, der Ihrer Arbeit mit Misstrauen begegnet, ist mir schon klar. Aber es ist uns durchaus wichtig, in diesem Fall auch Ihre Meinung zu hören.«
    »Danke, alles okay.« Boris sah zu Wachtel hinüber, der ebenfalls auf dem Podest saß, dem Publikum zugewandt, keine fünfzehn Meter entfernt. Seit seiner Auseinandersetzung mit Wencke Tydmers hatte er jeden Wortwechsel vermieden, und während der gestrigen Fahrt vom Tatort zurück zum Präsidium war der Mann im Radio
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