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Taubenkrieg

Taubenkrieg

Titel: Taubenkrieg
Autoren: S Lüpkes
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Metallkopf hatte sich im Eifer des Gefechts vom Griff gelöst.
    Die Farbeimer, Abdeckplanen, Taue und Netze, die sich ringsherum im Raum verteilten, hatten sich vermutlich zuvor auf dem Regal gestapelt. Derjenige, der das eigentlich stabil wirkende Metallgestell aus der Wand gerissen hatte, war mit Sicherheit kein Spargeltarzan. Und der Außenbordmotor war ihm als Wurfgeschoss auch nicht zu massiv erschienen, das altersschwache Ding hing halb auf dem Tisch, farbig schillerte das Altöl, das zäh von den Rotorblättern tropfte.
    Ein Tatort brauchte keine Leiche, um schrecklich zu sein. Aber mit Leiche war er bei Weitem übersichtlicher. Dann |10| wusste man wenigstens genau, wo das Zentrum lag. Ein Toter bot so etwas wie Orientierung. Da ist der Kopf, da sind die Beine. Gibt es Strangulationsfurchen, muss man nach einem Strick suchen. Bei Schusswunden läuft die Fahndung nach dem Projektil oder einem entsprechenden Loch in der Wand. Wurde ein Mensch erstochen, liegt vielleicht irgendwo das Messer verborgen.
    Doch hier gab es nichts dergleichen. Keine Leiche, keine Orientierung. Nur ein See aus Blut. Und deswegen hatte die Schweriner Polizei auch das LKA des Nachbarlandes um Hilfe gebeten. Mecklenburg-Vorpommern verfügte zwar über eine eigene Profiling-Abteilung, doch die dortigen Kollegen waren skeptisch, bei einem Fall ohne Leiche ihre Arbeit zu leisten. Das ging über die übliche Fallanalyse hinaus, hier waren Experten gefragt, die sich auf die sogenannte Sequenzanalyse* spezialisiert hatten, bei der Schritt für Schritt der vermutete Tatablauf in kleine Stücke zerlegt wird, um dann zu sehen, unter welchen Gesichtspunkten er sich wieder zusammenpuzzeln lässt. Boris Bellhorn, Wenckes Kollege im LKA Hannover, war eine solche Koryphäe der Soziologie und beherrschte die ausgefeiltesten Methoden der Kriminalistik. Wencke war da eher von der praktischen Sorte. Vielleicht hatte man sie als Ergänzung an Boris’ Seite gestellt, jedenfalls mussten beide heute Vormittag in Hannover ziemlich zügig ihre Sachen packen.
    Sequenzanalytiker finden sich auch ohne Sachbeweise zurecht. Sie erkennen die Handschrift des Täters sozusagen zwischen den Zeilen. Indem sie sich ihren eigenen Weg suchen. Keine Trampelpfade aus Fingerabdrücken und Zeugenaussagen benutzen, sondern sich ins Unterholz der Psychologie schlagen. Und das macht sie irgendwie   … suspekt.
    Zumindest schien KHK Wachtel es so zu sehen. »Und? Schon eine originelle Idee?« Die Ironie passte zu ihm. Zu seiner etwas behäbigen, selbstzufriedenen Art. Männer, die Toupets |11| diesen Ausmaßes trugen, mussten selbstzufrieden sein, sonst wäre ihnen der silbergraue Wischmopp auf dem Scheitel peinlich. »Ich dachte, Sie und Ihr Kollege kommen hierhin, schauen sich kurz um, und schwuppdiwupp haben Sie uns die Arbeit von vier Wochen abgenommen. So geht das doch bei diesen modernen Methoden, oder nicht?«
    Endlich war es raus, das Gift, auf das Wencke bereits gewartet hatte und das sie fest entschlossen ignorierte.
    »Was sind denn jetzt Ihre Pläne, um die Leiche zu finden, Herr Wachtel?«
    »Selbstverständlich sind diverse Proben schon seit heute früh im DN A-Labor .«
    »Wie schnell wird dort gearbeitet?«
    »Die Warteliste ist genau so lang wie bei Ihnen in Niedersachsen, aber wir haben eine besondere Dringlichkeit angemerkt. Wenn wir viel Glück haben, haben wir in zwei Tagen ein Ergebnis.«
    »Und bis dahin?«
    »Meine Leute durchkämmen gerade den unmittelbaren Umkreis. Das Gelände ist ja weiträumig abgesperrt. Auch das Clubhaus* nebenan wird so gut wie auseinandergenommen, sobald wir den entsprechenden Durchsuchungsbeschluss haben.«
    »Den haben Sie noch nicht? Warum dauert das so lange?«
    »Das Clubhaus befindet sich laut Katasteramt nicht auf demselben Grundstück wie der Tatort, vielleicht liegt es daran. Auf jeden Fall sind wir dran, der leitende Oberstaatsanwalt Gauly persönlich kümmert sich um den entsprechenden Antrag.«
    »Und die Taucher?«
    »Längst unterwegs!«
    Boris Bellhorns schlaksige Gestalt tauchte im Gegenlicht der offenen Schuppentür auf. Er war Wenckes Lieblingskollege, intelligent und freundlich, vielleicht ein bisschen zart |12| besaitet für den Job, dafür nicht so ein Drachen wie ihre gemeinsame Vorgesetzte Tilda Kosian. Die Entscheidung, wer von ihnen beiden bei diesem Job draußen bleiben durfte und wer rings um die Blutlache zu tun hatte, war schnell gefallen. Wencke hatte im Gegensatz zu Boris früher bei der Kripo
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