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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras
Autoren: Wolfgang Koeppen
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Ungewöhnlichen,Sehnsucht nach Erfahrung, nach besonderem Erleben, nach Abenteuer, nach Alter, nach Degeneration und Untergang, nach Opfer, Hingabe und Iphigenienmythe, es war Trotz, es war Überdruß an der Reisegesellschaft, es war die Erregung der Fremde, die Eile der Jugend, es war Emilias Whisky, es war, daß sie der schwärmenden, hemmungsvollen Liebe der Damen Wescott und Burnett müde war. Kay dachte ›er wird mich in seine Wohnung führen, ich werde die Wohnung eines deutschen Dichters sehen, das wird Doktor Kaiser interessieren, vielleicht wird der deutsche Dichter mich in seiner Wohnung verführen, Edwin wollte mich nicht verführen, ich hätte mich natürlich lieber von Edwin verführen lassen, aber Edwins Vortrag war langweilig, wenn ich ehrlich sein soll, war er kalt und langweilig, ich werde die einzige von unserer Reisegesellschaft sein, die zu Hause erzählen kann wie es ist wenn einen ein deutscher Dichter verführte Sie stützte sich auf Philipps Arm. Die Stadt war erfüllt vom Schrei der Polizeisirenen. Kay dachte ›es ist ein Dschungel, in dieser Stadt passieren sicher viele Verbrechen‹. Und Philipp dachte ›wo kann ich mit ihr hingehen? ich könnte in die Fuchsstraße gehen, aber Emilia ist vielleicht schon betrunken, sie ist Mister Hyde, wenn sie Mister Hyde ist kann sie keinen Gast empfangen, soll ich mit der Amerikanerin in das Hotel Zum Lamm gehen? das Hotel ist schäbig, es ist deprimierend, das hieße, das Lämmchen zum Lamm bringen, was will ich von ihr? will ich mit ihr schlafen? vielleicht könnte ich mit ihr schlafen, für sie ist es Reiseromantik, ich bin für sie so etwas wie ein ältlicher Strichjunge, das Gedicht über die Porta Nigra von George: fühle ich den Hochmut des alten Strichjungen? Kay ist reizend, aber ich bin gar nicht versessen darauf, ich will gar nicht sie, ich will das andere Land, ich will die Weite, ich will die Ferne, einen anderen Horizont, ich will die Jugend, das junge Land, ich will das Unbeschwerte, ich will die Zukunft und das Vergängliche, den Wind will ich, und da ich nichts anderes willwäre das andere ein Verbrechen?‹ Nach ein paar Schritten dachte Philipp ›ich will das Verbrechen‹.
    Sie lagen zusammen, weiße Haut, schwarze Haut, Odysseus Susanne Kirke die Sirenen und vielleicht Nausikaa, sie schlängelten sich, schwarze Haut weiße Haut, in einer Kammer, die sich windig auf ein paar Balken stützte und fast wie ein kleiner Ballon über der Tiefe schwebte, denn die Grundmauern des Hauses waren an dieser Seite fortgerissen, eine Bombe hatte sie zur Seite gerissen, und nie würden sie wieder errichtet werden. Die Wände der Kammer waren mit Schauspielerbildern beklebt, die meistbetrachteten, die repräsentativen Gesichter der Zeit blickten mit ihrer dummen Wohlgeformtheit, mit ihrer leeren Schönheit auf sie herab, die auf den Kissen lagen, schwarz und weiß, auf den Kissen, die wie Tiere, wie Teufel und langbeinige Vamps geformt waren, nackt weiß und schwarz, sie lagen wie auf einem Floß, im Taumel der Vermischung lagen sie wie auf einem Floß, nackt und schön und wild, sie lagen unschuldig auf einem Floß, das in die Unendlichkeit segelte.
    »Eine Unendlichkeit! Aber eine Unendlichkeit zusammengefügt aus allerkleinsten Endlichkeiten, das ist die Welt. Unser Körper, unsere Gestalt, das, von dem wir denken, daß wir es sind, das sind nur lauter Pünktchen, kleine aller-allerkleinste Pünktchen. Aber die Pünktchen, die haben es in sich: das sind Kraftstationen, allerallerkleinste Kraftstationen von allergrößter Kraft. Alles kann explodieren! Aber die Milliarden Kraftstationen sind für den kleinsten Augenblick, für unser Leben, wie Sand in diese Form geweht, die wir unser Ich nennen. Ich könnte Ihnen die Formel aufzeichnen.« Schnakenbach wankte im Halbschlaf, auf Behudes Arm gestützt, nach Hause. Sein armer Kopf sah wie ein gerupftes Vogelhaupt aus. ›Es ist blödsinnige dachte Behude ›aber was kann ich ihm entgegnen? Es ist Blödsinn, aber vielleicht hat er recht, wir kennen uns weder im Kleinennoch im Großen aus, wir sind garnicht mehr zu Hause in dieser Welt, die Schnakenbach mir in einer Formel deuten will, wußte Edwin eine Deutung? Er wußte keine, sein Vortrag ließ mich kalt, er führte auch nur in eine kalte finstere und ausweglose Gasse.‹
    Edwin hatte sich aller Gesellschaft entzogen, wie ein alter Aal hatte er sich allen Einladungen entwunden, auch der Heimfahrt im Konsulatswagen war er entkommen; über die
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