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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras
Autoren: Wolfgang Koeppen
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die deutschen Dichter träumen, sie besingen den Wald und die Liebe‹. Philipp dachte ›sie schlafen, und doch ist Größe in seinem Vortrag, hatte der Irre nicht recht, als er uns wecken wollte? es ist einer von Behudes Patienten, Edwins Bemühung rührt mich, ich verehre ihn, jetzt verehre ich ihn, sein Vortrag ist eine vergebliche Beschwörung, er empfindet sicher auch wie vergebens die Beschwörung ist, vielleicht rührt mich das, Edwin ist einer von den rührenden hilflosen gequälten Sehern, er sagt uns nicht was er sieht, was er sieht ist furchtbar, er versucht einen Schleier vor sein Gesicht zu ziehen, nur manchmal lüftet er den Schleier vor dem Grauen, vielleicht gibt es kein Grauen, vielleicht ist nichts hinter dem Schleier, er spricht nur für sich, vielleicht spricht er noch für mich, vielleicht für die Priester, ein Augurengespräch, die andern schlafen‹. Er drückte seinen Arm fester um Kay. Sie schlief nicht. Sie wärmte ihn. Sie war warmes frisches Leben. Immer wieder empfand Philipp Kays freiere Existenz. Nicht das Mädchen, die Freiheit verführte ihn. Er betrachtete ihren Schmuck, ein mondbleiches Geschmeide aus Perlen, Email und diamantenen Rosen. ›Es paßt nicht zu ihr‹, dachte er, ›wo mag sie es herhaben, vielleicht hat sie geerbt, sie sollte keinen Schmuck tragen, dieser alte Schmuck stiehlt ihr etwas von ihrer Frische, vielleicht sollte sie Korallen tragen.‹ Der Schmuck kam ihm bekannt vor, aber er erkannte ihn nicht als Emilias Schmuck. Philipp hatte keinen Sinn für Juwelen und kein Gedächtnis für ihre Form und Gestalt, und außerdem vermied er es, Emilias Preziosen zu betrachten; er wußte, daß die Steine, die Perlenund das Gold Tränen herbeilockten, Tränen, die ihn bedrückten; Emilia mußte ihren Schmuck verkaufen, sie weinte, wenn sie ihn zum Juwelier trug, und von dem Erlös der Kostbarkeiten und der Tränen lebte auch Philipp. Es gehörte zu den Kalamitäten seiner Existenz, daß er allein, ohne Emilia, viel einfacher leben und sich erhalten konnte, aber da er Emilia liebte und mit ihr lebte, mit ihr die Tafel teilte und das Lager, beraubte er sie ihres Gutes und war, wie ein Vogel an der Rute, der Luxusbohème des Kommerzienratserbes verleimt und konnte seine natürlichen Schwingen zu den kleinen Flügen, die ihm bestimmt waren und die ihm sein Futter gegeben hätten, nicht mehr rühren. Es war eine Fesselung, Liebesfesselung, Bande des Eros, aber der Lebenslauf führte in die Abhängigkeit von der schlechten Verwaltung eines in Trümmer gesunkenen Vermögens, und das war eine andere Fesselung, eine ungewollte, die sich drückend auf das Empfinden der Liebe legte. ›Ich werde nie wieder frei sein‹, dachte Philipp, ›ich habe mein Leben lang die Freiheit gesucht, aber ich habe mich verlaufene Edwin erwähnte die Freiheit. Der europäische Geist, sagte er, sei die Zukunft der Freiheit, oder die Freiheit werde keine Zukunft mehr in der Welt haben. Hier wandte sich Edwin gegen einen Ausspruch der seinen Zuhörern völlig unbekannten amerikanischen Dichterin Gertrude Stein, von der erzählt wird, daß Hemingway bei ihr zu schreiben gelernt habe. Gertrude Stein und Hemingway waren Edwin gleichermaßen unsympathisch, er hielt sie für Literaten, Boulevardiers, zweitrangige Geister, und sie wieder gaben ihm die Nichtachtung reichlich zurück und nannten ihn ihrerseits einen Epigonen und sublimen Nachäffer der großen toten Dichtung der großen und toten Jahrhunderte. Wie Tauben im Gras, sagte Edwin, die Stein zitierend, und so war doch etwas von ihr Geschriebenes bei ihm haften geblieben, doch dachte er weniger an Tauben im Gras als an Tauben auf dem Markusplatz in Venedig, wie Tauben im Gras betrachteten gewisse Zivilisationsgeister die Menschen, indem sie sich bemühten, das Sinnlose und scheinbar Zufällige der menschlichen Existenz bloßzustellen, den Menschen frei von Gott zu schildern, um ihn dann frei im Nichts flattern zu lassen, sinnlos, wertlos, frei und von Schlingen bedroht, dem Metzger preisgegeben, aber stolz auf die eingebildete, zu nichts als Elend führende Freiheit von Gott und göttlicher Herkunft. Und dabei, sagte Edwin, kenne doch schon jede Taube ihren Schlag und sei jeder Vogel in Gottes Hand. Die Priester spitzten die Ohren. Bearbeitete Edwin ihren Acker? War er nichts als ein Laienprediger? Miss Wescott hörte auf, die Rede mitzuschreiben. Hatte sie, was Edwin jetzt sagte, nicht schon einmal vernommen? Waren es nicht ähnliche Gedanken, die
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