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Tatort Oslo - Unehrlich waehrt am laengsten

Tatort Oslo - Unehrlich waehrt am laengsten

Titel: Tatort Oslo - Unehrlich waehrt am laengsten
Autoren: Knut Krueger
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nahm.
    ✶ ✶ ✶
    Graues Morgenlicht sickerte in den Raum. Franziska kam blinzelnd zu sich und dachte im ersten Moment, sie läge zu Hause in ihrem Bett. Doch die Härte der kalten Holzdielen unter ihrem schmerzenden Rücken belehrte sie rasch eines Besseren. Blitzartig überfiel sie die Erinnerung an das Grauen des gestrigen Tages. An ihre ausweglose Situation.
    Etwas jedoch hatte sich geändert. Sie wusste nicht gleich, was es war, wandte träge den Kopf und schaute unwillkürlich nach oben. Schräg über ihr zeichnete sich ein helles Viereck ab, das sie gestern noch nicht gesehen hatte. Die Dunkelheit hatte es verborgen, doch nun erkannte sie, dass es sich um ein schmales rechteckiges Fenster handelte. Im Nu war sie auf den Beinen, kniff die Augen zusammen und betrachtete es. Stellte sich auf die Zehnspitzen und tastete am unteren Rand des Fensterrahmens entlang, der morsch und spröde wirkte. Das Fenster besaß einen schmalen Handgriff, der sich in der Mitte der Oberkante befand. Wahrscheinlich hatte das Fenster eine Kippvorrichtung, ließ sich aber nicht vollständig öffnen. Sie streckte sich, bekam den Griff mit zwei Fingern zu fassen, konnte ihn jedoch nicht bewegen.
    Wie spät mochte es sein? Sie hatte keine Uhr und der Mann hatte ihr Handy einkassiert. Vermutlich war es noch früh am Morgen. Vorsichtig legte sie ein Ohr an die Bretterwand und lauschte. Glaubte, ganz deutlich sein Schnarchen zu hören.
    Ihr graute davor, ihn wiederzusehen. Den boshaften Blick seiner rot geäderten Augen auf sich zu spüren und seinen stinkenden Atem zu riechen. Vor allem graute ihr vor dem, was sich inzwischen in seinem kranken Hirn abgespielt haben mochte. Auf welche Lösung er gekommen war, um sich das Problem Franziska vom Hals zu schaffen. Denn wenn er sie gestern nicht hatte gehen lassen, warum sollte er es heute tun?
    Wenn sie in der hinteren linken Ecke auf das Regal kletterte, könnte sie das Fenster mit ausgestrecktem Arm erreichen. Doch womit sollte sie es einschlagen? Auch fürchtete sie, sich an den Glassplittern, die unweigerlich am Fensterrahmen hängen bleiben würden, zu verletzen. Sie würde schnell handeln müssen, würde sich in aller Eile durch die Öffnung zwängen, auf der Rückseite des Schuppens hinunterspringen und sich in den Wald flüchten müssen, ehe der Mann aufwachte, ihr nachsetzte und sie erneut überwältigte.
    Sie versuchte, eines der unteren Regalbretter zu lösen, und tatsächlich ließ es sich ganz einfach und fast geräuschlos herausheben. Sie stellte es behutsam unter das Fenster, zog sich die Kapuze ihrer Windjacke über den Kopf und knotete sie fest zu, um sich vor Schnittverletzungen zu schützen. Dann kletterte sie so leise wie möglich auf das Regal, das glücklicherweise an der Wand festgeschraubt war, und zog das lange Regalbrett zu sich nach oben. Sie sammelte allen Mut zusammen, biss sich auf die Lippen, zielte mit der Brettkante auf das Fenster, hielt die Luft an und – schlug zu!
    Die Scheibe ging klirrend in Scherben. Franziska warf das Brett von sich, schwang die Füße durch die Öffnung und spürte einen stechenden Schmerz, als sie zuerst mit den Schienbeinen, dann mit Knien und Oberschenkeln über den schmalen Fensterrahmen rutschte, den eine Reihe gezackter, abgebrochener Glasstücke umkränzte. Dann zog sie den Kopf ein, kniff die Augen zusammen und sprang. Der Aufprall war überraschend weich. Sie hatte im Fallen die Rückwand des Schuppens berührt und war der Länge nach im Matsch gelandet. Doch der Schmerz in ihren Beinen war nahezu unerträglich. Sie rappelte sich auf, unterdrückte ein Stöhnen und humpelte in den Wald hinein, während das Blut an unzähligen Stellen durch ihre Hosenbeine drang, in denen immer noch die Glassplitter steckten.
    Sobald sie die erste Baumreihe erreicht hatte, hörte sie, wie die Tür der Hütte krachend aufflog. Der Mann stürmte nach draußen und machte sich offenbar an der Tür des Schuppens zu schaffen. Franziska riss sich die Kapuze vom Kopf, um besser hören zu können. Im nächsten Moment schallte ein wütendes Fluchen durch den Wald, gefolgt vom heiseren Brüllen seiner Reibeisenstimme, die ihr durch Mark und Bein ging: »Ich krieg dich!«
    Franziska wusste, dass sie ihm nicht weglaufen konnte. Sie musste sich so gut verstecken, dass er sie nicht finden würde. Mit wild pochendem Herzen entfernte sie sich seitwärts von der Hütte und achtete darauf, nicht über die weißen Schneeflächen zu laufen, um keine verräterische
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