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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann
Autoren: Haruki Murakami
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dieses Klingeln gewartet hätte. Ich war perplex. Das ging mir ein bisschen zu glatt.
    »Dolphin Hotel, hallo?«, meldete sich eine sanfte Stimme.
    Es war die Stimme einer Frau. Eine Frau? Wieso das? Soweit ich mich erinnern konnte, hatte ich an der Rezeption nie ein weibliches Wesen erblickt. Sicherheitshalber überprüfte ich die Adresse. Ja, es war die altbekannte Anschrift. Vielleicht hatte man eine junge Frau eingestellt, die Nichte des Direktors oder so. Also nichts Ungewöhnliches. Ich sagte ihr, dass ich gern ein Zimmer reservieren würde.
    »Vielen Dank«, sagte sie patent. »Einen Moment bitte, ich verbinde Sie mit unserer Zimmerreservierung.«
    Unsere Zimmerreservierung? Jetzt war ich völlig platt. Das überstieg mein Fassungsvermögen. Was zum Teufel war mit dem alten Laden geschehen?
    »Zimmerreservierung. Tut mir leid, dass Sie warten mussten. Was kann ich für Sie tun?« Diesmal meldete sich ein junger Mann. Die flinke, zuvorkommende Stimme eines professionellen Hotelangestellten. Komisch, komisch. Ich reservierte ein Zimmer für drei Nächte, nannte meinen Namen und meine Tokyoter Telefonnummer.
    »Geht in Ordnung. Für drei Nächte, ab morgen. Ein Einzelzimmer steht für Sie bereit«, bestätigte er.
    Mir fiel nichts anderes ein, als mich zu bedanken. Irritiert legte ich auf. Jetzt verstand ich überhaupt nichts mehr. Wie hypnotisiert starrte ich auf das Telefon. Als wartete ich darauf, dass gleich jemand zurückriefe, um mich aufzuklären. Aber nichts dergleichen geschah. Ach, es wird sich schon alles zeigen, beruhigte ich mich. Sobald ich an Ort und Stelle wäre. Ich musste nur hingehen. Jedenfalls konnte ich mich nicht davor drücken. Denn eine Alternative gab es nicht.
    Ich rief die Hotelrezeption an und erkundigte mich nach dem Zugfahrplan nach Sapporo. Es gab einen Express am Vormittag, der mir sehr gelegen kam. Dann bestellte ich beim Zimmerservice eine kleine Flasche Whiskey mit Wasser. Ich schaltete den Fernseher ein und schaute mir noch einen Film im Spätprogramm an. Es lief ein Western mit Clint Eastwood. Clint lächelte nicht ein einziges Mal. Auch kein verlegenes Grinsen. Einige Male versuchte ich ihm eins zu entlocken, indem ich ihm zulächelte, doch er blieb eisern und verzog keine Miene. Als der Film zu Ende war, hatte ich meine Ration Whiskey intus. Ich löschte das Licht und schlief durch bis zum Morgen. Traumlos.
    Ich schaute aus dem Zugfenster und sah nur Schnee. Es war ein klarer, sonniger Tag. Das grelle Weiß blendete mich. Von den Mitreisenden schaute sonst niemand aus dem Fenster. Sie wussten alle, dass es draußen nur Schnee zu sehen gab.
    Da ich noch nicht gefrühstückt hatte, ging ich kurz vor Mittag in den Speisewagen. Ich bestellte ein Bier und ein Omelett. Mir gegenüber saß ein Mann in den Fünfzigern in Anzug und Krawatte, der ebenfalls Bier trank und dazu ein Schinkensandwich aß. Er sah aus wie ein Maschinenbauingenieur und war auch einer, wie sich herausstellte. Er sprach mich zuerst an und erzählte mir, dass er Flugzeuge der Selbstverteidigungsstreitkräfte wartete. Dann erläuterte er mir ausführlich, wie sowjetische Kampfmaschinen und Bomber illegal in unseren Luftraum eindringen, was ihn jedoch nicht sonderlich zu bekümmern schien. Schon eher besorgt zeigte er sich über die Wirtschaftlichkeit von F4 Phantomjets. Er beklagte sich darüber, welche Unmengen an Treibstoff sie bei einem Manöver fraßen. Die reinste Verschwendung. »Wenn die Japaner sie hergestellt hätten, wären sie weitaus wirtschaftlicher. Und genauso leistungsfähig wie die F4. Wir könnten ohne weiteres Kosten sparende Kampfflugzeuge bauen, auf der Stelle.«
    Daraufhin belehrte ich ihn, dass besagte Verschwendung eine Errungenschaft der hochkapitalistischen Gesellschaft sei. Die Tatsache, dass Japan von den USA Phantomjets kaufe und Unmengen an Treibstoff bei Manövern vergeude, gebe der Weltwirtschaft doch einen zusätzlichen Impuls, wodurch der Kapitalismus wiederum einen höheren Grad erreiche. Würde man der Verschwendung Einhalt gebieten, wäre eine Wirtschaftskrise die Folge und die globale Ökonomie würde zusammenbrechen. Verschwendung ist der Treibstoff, der Widersprüche erzeugt, und Widersprüche kurbeln die Wirtschaft an, und eine angekurbelte Wirtschaft führt wiederum zu mehr Verschwendung.
    Mag schon sein, räumte der Ingenieur ein, aber da er als Kriegskind eine Zeit extremer Entbehrungen habe durchmachen müssen, könne er die neue soziale Struktur nur schwer
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