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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Ihnen, niemandem zu sagen, selbst meinem Mann nicht, von wem ich das Unerhörte erfahren habe, das Sie mir anvertrauen werden!«
    »Ich glaube es Ihnen schon, denn es handelt sich lediglich um Sie und um ihn.«
    Frau von Hulot wurde blaß.
    »Ja, wenn Sie Ihren Mann noch lieben, dürfte es Ihnen schmerzlich sein! Soll ich also lieber nichts sagen?«
    »Sprechen Sie, Herr Crevel! Handelt es sich doch darum, wie Sie sagen, den merkwürdigen Antrag zu rechtfertigen, den Sie mir gemacht haben – die Beharrlichkeit, mit der Sie mich alte Frau verfolgen, mich, die ich meine Tochter verheiraten und dann in Frieden sterben möchte!«
    »Sie sind eine unglückliche Frau!«
    »Ich?«
    »Ja, schönes, edles Wesen, du hast nur allzuviel zu leiden ...«
    »Herr Crevel! Schweigen Sie! Gehen Sie oder reden Sie in anständiger Weise!«
    »Wissen Sie, gnädige Frau, wie Ihr Mann und ich miteinander bekannt geworden sind? ... Bei unsern Mätressen!«
    »Herr Crevel!«
    »Bei unsern Mätressen!« wiederholte Crevel in melodramatischem Tone. Dabei gab er seine Attitüde auf, indem er mit der rechten Hand eine beteuernde Geste machte.
    »Und?« fragte die Baronin kühl.
    Crevel war verblüfft. Verführer mit kleinen Motiven verstehen die großen Seelen nie.
    »Was mich anbelangt, der ich seit fünf Jahren Witwer bin«, fuhr er fort, indem er redete, als erzähle er eine Geschichte, »ich wollte mich nicht wieder verheiraten, im Interesse meiner Tochter, die ich vergöttere. Auch wollte ich in meinem Hause mein freier Herr bleiben. Ich hätte ja aus meinem Kontor ein sehr hübsches Frauenzimmer haben können. Aber nein, ich hielt mir, wie man zu sagen pflegt, ein kleines Mädel aus, eine Fünfzehnjährige, ein wunderschönes Ding. Ich gestehe, ich war in sie verliebt bis über die Ohren. Infolgedessen ließ ich aus meiner Heimat eine Tante von mir kommen, die Schwester meiner Mutter; die mußte mit dem entzückenden Geschöpf zusammen wohnen und achtgeben, damit es möglichst brav bliebe in dieser – wie soll ich sagen? – heiklen ... illegitimen Situation. Die Kleine war sichtlich musikalisch. Ich ließ sie unterrichten und ausbilden. Eine Beschäftigung mußte sie doch sowieso haben. Dabei wollte ich gleichzeitig ihr Vater, ihr Wohltäter und – offen gesagt – ihr Liebhaber sein. Ich wollte sozusagen zwei Fliegen mit einem Schlage fangen: ein gutes Werk tun und mir eine treue Freundin erwerben. Fünf Jahre war ich glücklich! Die Kleine hatte eine Stimme, mit der sie auf der Bühne ihr Glück machen mußte. Wie soll ich mich ausdrücken? Sie singt wie eine Nachtigall. Sie hat mich jährlich zweitausend Francs gekostet, das heißt lediglich ihre musikalische Ausbildung. Sie hat mich zum Musiknarren gemacht. Ich habe für mich und meine Tochter eine Loge in der Italienischen Oper abonniert, und abwechselnd benutze ich diese Loge mit Cölestine oder mit Josepha ...«
    »Der berühmten Sängerin?«
    »Jawohl, gnädige Frau«, gab Crevel selbstbewußt zur Antwort, »diese vielgenannte Josepha hat mir alles zu verdanken! Als sie ein kleines Ding von zwanzig Jahren war, Anno 1834, da bildete ich mir ein, sie würde nie von mir lassen. Ich tat ihr alles zu Gefallen. Sie sollte sich auch ein bißchen amüsieren, und da gestattete ich ihr den Verkehr mit einer hübschen jungen Schauspielerin, Jenny Cadine, einer Art Schicksalsgefährtin von ihr. Die beiden wurden sehr bald gute Freundinnen. Auch sie hatte alles einem Gönner zu verdanken, der sie auf Händen trug. Dieser Gönner war der Baron Hulot ...«
    »Das ist mir bekannt«, unterbrach ihn die Baronin ruhigen Tones und ohne die geringste Erregung.
    »So?« rief Crevel aus. Seine Verwunderung fand keine Grenzen. »Was? Sie wissen, daß Ihr Mann, dieser unglaubliche Mensch, die Jenny Cadine seit ihrem dreizehnten Jahre unterhält?«
    »Weiter!« warf die Baronin hin.
    Der ehemalige Geschäftsmann fuhr fort:
    »Als Jenny Cadine zwanzig Jahre alt war – so alt wie Josepha –, als sich die beiden kennenlernten, da hatte der Baron die Rolle Ludwigs XV. bei Fräulein von Romans bereits acht Jahre gespielt. Also seit 1826! Damals waren Sie zwölf Jahre jünger als heute ...«
    »Herr Crevel, ich hatte meine Gründe, meinem Manne seine Freiheit zu lassen.«
    »Gnädige Frau, das ist eine Lüge, die zweifellos dermaleinst alle Sünden Ihres ganzen Lebens aufwiegt und Ihnen die Pforte des Paradieses öffnen wird!«
    Die Baronin wurde rot.
    »Erzählen Sie das anderen Leuten«, fuhr er fort,
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