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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Verwandte des Hauses zu erblicken. Sie sah ganz und gar aus wie eine Nähmamsell auf Tagelohn. Trotzdem verließ die alte Jungfer das Zimmer nicht, ohne dem dicken Crevel leichthin einen zärtlichen Gruß zuzuwerfen, der mit einem verständnisvollen Nicken erwidert ward.
    »Sie kommen doch morgen, Fräulein Fischer?«
    »Wird sonst noch jemand da sein?« antwortete Tante Lisbeth. »Meine Kinder und Sie! Weiter niemand«, entgegnete der Besucher.
    »Gut! Dann rechnen Sie auf mich.«
    »Gehorsamst zur Stelle, gnädige Frau!« begann der Hauptmann von der Bürgerwehr, indem er sich nochmals vor der Baronin Hulot verbeugte und ihr einen Blick zuwarf wie Tartüff der Elmira auf irgendeiner Provinzbühne.
    »Wenn Sie mir dorthinein folgen wollen, Herr Crevel, werden wir die Angelegenheit besser besprechen können als hier im Salon«, sagte Frau von Hulot, indem sie nach dem benachbarten Gemach wies, dem Spielzimmer.
    Dieser Raum war nur durch eine dünne Wand vom Damenzimmer getrennt, dessen Fenster nach dem Garten hinausging. Die Baronin ließ Crevel einen Augenblick allein. Es schien ihr angebracht, im Damenzimmer Tür und Fenster zu schließen, damit dort niemand horchen könne. Aus gleicher Vorsicht schloß sie die Glastür im großen Salon, wobei sie ihrer Tochter und der Tante zuwinkte, die sie in einer verwilderten Laube im Garten sitzen sah. Die Tür zwischen Salon und Spielzimmer ließ sie offen, um zu hören, wenn jemand den Salon betrat.
    Wie die Baronin unbeobachtet so hin und her ging, spiegelten sich alle ihre Gedanken in ihren Mienen. Wer sie beobachtet hätte, wäre vor ihrer Erregtheit erschrocken. Als sie jedoch wieder in der Tür des Spielzimmers erschien, hüllte sich ihr Gesicht in jene undurchdringliche Selbstbeherrschung, über die alle Frauen, selbst die offenherzigsten, wie auf Befehl verfügen.
    Während dieser zum mindesten sonderbaren Vorbereitungen musterte Crevel die Einrichtung des kleinen Salons, in dem er sich befand. Er besah sich die seidenen Vorhänge, die, einstmals rot, unter dem Einflusse des Sonnenlichts violett und durch den langen Gebrauch in den Falten fadenscheinig geworden waren. Die Farben des Teppichs waren verschossen, die Vergoldung der Möbel blind, der Atlas der Bezüge fleckig und an den Kanten durchgescheuert. Geringschätzigkeit, Zufriedenheit und Hoffnung offenbarten sich bei dieser Besichtigung nacheinander auf dem naiven Alltagsgesichte des Kaufmanns und Emporkömmlings. Gerade betrachtete er sich im Spiegel über einer alten Standuhr im Empirestil und musterte sich selber, als das Rascheln seidener Röcke die Wiederkehr der Baronin verkündete. Alsbald rückte sich Crevel zurecht.
    Frau von Hulot ließ sich auf einem kleinen Sofa nieder, das vor dreißig Jahren zweifellos wunderschön gewesen sein mußte. Mit der Geste, sich zu setzen, bot sie Crevel einen Stuhl an, dessen Armlehnen in Sphinxköpfe ausliefen; die Bronzierung daran war stellenweise abgeblättert, und das Holz schimmerte durch.
    »Ihre Vorsichtsmaßregeln, gnädige Frau, könnten das beste Vorzeichen sein für einen ...«
    »Für einen Verliebten!« vervollständigte die Baronin, indem sie den Bürgergardisten unterbrach.
    »Das Wort besagt zu wenig!« beteuerte dieser, wobei er seine rechte Hand aufs Herz drückte und die Augen hochrollte. Wohl jede Frau, die diese Mimik kalten Sinnes zu sehen bekommt, lacht. »Verliebt? Verliebt!« fuhr Crevel fort. »Sagen Sie: Verzaubert!«
    »Passen Sie einmal auf!« sagte die Baronin, zu ernst, um lachen zu können. »Sie sind fünfzig Jahre alt, folglich zehn Jahre jünger als mein Mann. Ich weiß das wohl. Aber wenn eine Frau in meinen Jahren noch Torheiten begeht, so muß sich das rechtfertigen durch Jugend oder Schönheit oder Berühmtheit oder Macht oder durch irgendeine Aureole, in deren Glanz und Sonne man sogar seine Jahre vergißt. Wenn Sie fünfzigtausend Francs Jahreseinkommen haben, so macht dies Ihr Alter wett. Im übrigen aber besitzen Sie nichts von dem, was eine Frau verlangt.«
    »Meine Liebe?« fragte der Bürgergardist, indem er aufstand und sich der Baronin näherte. »Meine Liebe, die ...«
    »Nein, nein, Herr Crevel, das ist eine beharrliche Einbildung von Ihnen!« unterbrach sie ihn, um dem lächerlichen Auftritt Einhalt zu tun.
    »Jawohl, ganz recht: beharrliche Liebe!« rief er aus, »und mehr noch: auch eine berechtigte ...«
    »Berechtigt?« fuhr die Baronin auf. Ihre Entrüstung, ihr Stolz, ihre Verachtung verliehen ihr etwas
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