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Tante Dimity und der unerhoerte Skandal

Tante Dimity und der unerhoerte Skandal

Titel: Tante Dimity und der unerhoerte Skandal
Autoren: Nancy Atherton
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der sich leidenschaftlich für Polarforschung interessierte, besaß eine beachtliche Sammlung von Büchern zu diesem Thema und war immer auf der Suche nach neuen Entdeckungen.
    Deshalb war es durchaus denkbar, dass er dem Rat meines früheren Chefs gefolgt war und den Händler in Bath aufgesucht hatte.

    Emma verhielt sich abwartend, aber ich stieg aus dem Wagen und schritt die Einfahrt ab bis dorthin, wo sie auf die Straße bog, und sah mir die Reifenspuren auf dem Kies an. Alle Spuren führten in Richtung Finch, bis auf eine, die in die andere Richtung ging.
    »Siehst du das?«, sagte ich triumphierend und zeigte auf den Kies. »William ist nach Süden gefahren, in Richtung Bath. Ich bin sicher, dass er dort ist.«
    »Hmhm«, machte Emma unverbindlich.
    Bis auf das fehlende Auto sah das Haus noch genauso aus wie heute Morgen, als ich es verlassen hatte. Die Steinmauern hatten die Farbe von Honig, auf den die Sonne scheint, das Schieferdach war ein Flickenteppich aus Moos und Flechten, und die Eingangstür war von einem Wasserfall aus Rosen umgeben. Selbst im grauen Licht des Winters, wenn die Rosensträucher kahl waren und das Dach mit Schnee überzuckert war, wirkte das Haus warm und einladend. Jetzt im August, wo die Sommersonne das Moos goldgelb gebacken hatte und der Duft von frisch gemähtem Heu von einem benachbarten Feld herüberwehte, war Tante Dimitys Cottage für mich der schönste Ort auf der ganzen Welt.
    Trotzdem sah ich es mir genau an, als ich Emma auf dem gepflasterten Weg zur Haustür folgte. Ich war überzeugt, dass das Haus glitzern oder leuchten müsste oder auf irgendeine andere Weise Tante Dimitys Rückkehr ankündigen würde, aber ich sah nichts. Die Schwalben flitzten hin und her aus ihren kleinen runden Nestern unter dem Dach, und aus dem Schutz des Fliederstrauchs beäugte uns ein Kaninchen. Sollte Dimity tatsächlich zurückgekommen sein, so ließ das Haus sich nichts anmerken.
    Nell wartete im Wohnzimmer auf uns, wo sie und Willis senior den grünlackierten Spieltisch für ihren Wettkampf aufgebaut hatten. Nell und Willis senior waren als Schachspieler ungefähr gleich stark – ihre Duelle dauerten Wochen, manchmal Monate, was davon abhing, wie oft Willis senior zu Besuch kam. Sie waren auch gute Freunde, und obwohl es mir immer einen Stich ins Herz gab, wenn Willis senior Nell seine adoptierte Enkelin nannte, konnte ich es ihm nicht verübeln. Nell Harris war ein außergewöhnliches Kind.
    Mit ihren zwölf Jahren schien Nell das ungelenke Stadium der Vorpubertät übersprungen zu haben und war, statt sich erst einmal zu verpuppen, gleich ein Schmetterling geworden. Sie war groß, schlank und graziös, ein BotticelliEngel mit einem makellosen ovalen Gesicht, einem Mund wie eine Rosenknospe und den dunkelblauen Augen ihres Vaters. Im Sonnenlicht, das durch die Erkerfenster fiel, leuchtete ihr Haar wie Gold und sie bewegte sich mit einer natürlichen Würde, die ihr selbst dann etwas Königliches verlieh, wenn sie, wie jetzt, in Khakishorts, einem hellblauen TShirt und abgewetzten Wanderstiefeln steckte.
    Bertie, Nells schokoladenbrauner Bär, saß auf einem Stoß Kissen auf dem Sessel, auf dem eigentlich Willis senior hätte sitzen sollen, und betrachtete das Schachbrett mit beharrlichem Interesse, während Ham, Nells schwarzer Labrador, offenbar überwältigt von der Aufregung des Spiels, halb schlafend auf der Bank lag, die unter dem Fenster entlanglief. Sein Schwanz klopfte zweimal kurz, um seiner Herrin unsere Ankunft mitzuteilen, aber deren Aufmerksamkeit war, genau wie Berties, auf das Brett geheftet. Als Hams Schwanz ein drittes Mal klopfte, schob sie einen weißen Läufer drei Felder weiter und lächelte zufrieden.
    »So, das sollte genügen«, sagte sie mehr zu sich selbst, ehe sie sich umdrehte, um uns zu begrüßen.
    »Hallo, Lori. Hallo … Mama!«, rief sie aus. »Du hast ja noch deine Gummistiefel an. Ich dachte, du magst darin nicht Auto fahren.«
    »Mag ich auch nicht«, erwiderte Emma, indem sie aus ihren schmutzigen Stiefeln schlüpfte, »aber wir hatten es eilig. Was soll das heißen, William ist verschwunden?«
    »Er war nicht hier, als ich ankam«, sagte Nell.
    »Wir waren doch zu unserer Schachpartie verabredet. Und du kennst ja William – er vergisst nie eine Verabredung.«
    Das war richtig. Was in Willis seniors Terminkalender stand, war in Stein gemeißelt, und er schrieb alles in dieses Buch. Eine Schachpartie mit Nell würde genauso gewissenhaft notiert sein
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