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Tante Dimity und der unerhoerte Skandal

Tante Dimity und der unerhoerte Skandal

Titel: Tante Dimity und der unerhoerte Skandal
Autoren: Nancy Atherton
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Tradition verhaftet waren wie ihre amerikanischen Vettern. Es war ein Wagnis, aber wenn ich in meiner Ehe mit Bill etwas gelernt hatte, dann das, dass besonders in reichen Familien alte Gewohnheiten schwer aussterben. Söhne bekamen die Namen ihrer Väter, gingen in dieselben Schulen, saßen im selben Aufsichtsrat und übten denselben Beruf aus – Generation um Generation. Ich war mir jedoch nicht sicher, ob diese Art von Loyalität sich auch auf die Wahl ihrer Hotels erstreckte.
    »Bitte lacht nicht«, sagte ich und stellte meine Teetasse auf den niedrigen Tisch, »aber mir fiel ein, dass, wenn Gerald tatsächlich ein Willis ist, und wenn er Geld hat – falls Haslemere wirklich ein Ort ist, wo reiche Leute wohnen – und wenn er jemals nach London kommt …«
    Wieder schaltete Nell als Erste. »Das Flamborough! Gut gemacht, Lori. Wir rufen Miss Kingsley an.«
    Miss Kingsley war die Hausdame des hoch angesehenen Flamborough Hotels in London. Sie hielt es für die Pflicht einer Hausdame, über alle ihre Gäste detaillierte Aufzeichnungen zu machen, damit man sie jederzeit mit jenem persönlichen Service empfangen konnte, der dem Flamborough zu seinem diskreten Ruhm verholfen hatte. Mit anderen Worten, Miss Kingsley war im Vergleich zu anderen Hausdamen das, was die Encyclopaedia Britannica im Vergleich zu einem Notizbuch war. Sie wusste nicht nur, was ihre Gäste aßen und tranken, sondern auch, auf welcher Seite des Bettes sie schliefen und wer wahrscheinlich auf der anderen Seite schlief.
    Manchmal dachte ich, dass sie mehr über Bill wusste als ich, denn sie hatte seit seinem ersten Besuch als Zwölfjähriger Notizen über ihn gesammelt. Für ihn und Willis senior war das Flamborough jahrelang eine Art zweites Zuhause gewesen, wenn sie nach London kamen. Wenn die englischen Willis dasselbe taten, so schloss ich, dann würde Miss Kingsley über Gerald Bescheid wissen.
    Nell hatte mit ihrem Großvater väterlicherseits, einem spießigen alten Earl, ebenfalls mehrmals im Flamborough gewohnt, so dass sie Miss Kingsley gut kannte. Während sie Emma also meinen Einfall erklärte, kehrte ich zum Schreibtisch zurück und wählte Miss Kingsleys Nummer.
    Sie antwortete sofort, und nach dem üblichen Austausch von Höflichkeiten fragte ich in einem möglichst unverfänglichen Ton: »Wussten Sie, dass Bill Verwandte in England hat? Englische Verwandte, meine ich.«
    »Selbstverständlich«, sagte Miss Kingsley.
    Ich hob stumm den Daumen in die Richtung von Nell und Emma. »Hat William Sie in letzter Zeit nach ihnen gefragt?«

    »Nein, natürlich nicht«, sagte Miss Kingsley.
    »Diese beiden Familienzweige haben schon lange keinen Kontakt mehr miteinander.«
    »Warum denn nicht?«
    »Soweit ich es verstanden habe«, erwiderte Miss Kingsley, wobei sie ihre Worte vorsichtig wählte,
    »hat ein Streit zwischen zwei Brüdern dazu geführt, dass einer von ihnen 1714 in die Neue Welt ausgewandert ist. Seitdem sprechen die Willis auf den beiden Seiten des Atlantiks nicht mehr miteinander.«
    Ich war beeindruckt. Die Willis konnten wirklich schmollen. Ob das die ›Familienangelegenheit aus der Vergangenheit‹ war, die Dimity erwähnt hatte? »Haben Sie eine Ahnung, worüber sie sich stritten?«
    »Über diesem Teil der Geschichte liegt der Schleier des Schweigens«, antwortete Miss Kingsley bedauernd. »Ich habe nie herausbekommen können, was der Anlass für den Streit war.«
    Sollte Willis senior sich vorgenommen haben, der Sache auf den Grund zu gehen? Das war nicht sehr wahrscheinlich. Willis senior lag zwar der Familienfrieden sehr am Herzen, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass er aus seinem Sessel aufspringen würde, um einen Bruderzwist beizulegen, der seit fast dreihundert Jahren schwelte. »Hat es in letzter Zeit Streitigkeiten gegeben?«

    »Zwischen den beiden Zweigen der Familie nicht«, erwiderte Miss Kingsley. »Wie ich schon sagte, sie stehen nicht in Verbindung. Jedoch hat die englische Seite der Familie in den letzten Jahren große Schwierigkeiten gehabt.«
    »War Gerald Willis darin verwickelt?«, fragte ich.
    »In der Tat, so ist es«, Miss Kingsleys Stimme klang ernst. »Vor zwei Jahren verlor er seine Stellung in der Familienfirma, er verkaufte sein Haus in London und zog nach Haslemere in Surrey. Seine Familie war außerordentlich enttäuscht von ihm. Er ist nämlich der Älteste seiner Generation, müssen Sie wissen.«
    »Wie viele gibt es denn insgesamt?« Ich nahm einen Bleistift aus der Schublade
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