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Tante Dimity und der Fremde im Schnee

Tante Dimity und der Fremde im Schnee

Titel: Tante Dimity und der Fremde im Schnee
Autoren: Nancy Atherton
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einer Herberge standen, die eindeutig geschlossen war.
    Das Bild war überraschend eindringlich. Nell saß auf einem mottenzerfressenen Sprungpferd, die Hände auf dem gewölbten Bauch, den Kopf leicht zur Seite geneigt. Ihr Mienenspiel, eine gelungene Mischung aus Geduld und Enttäuschung, war geradezu herzzerreißend, und Willis senior sah gleichermaßen beeindruckend aus. Er trug schlichte Sandalen und einen staubigen braunen Kaftan. Er hatte eine Hand auf Nells Schulter gelegt und zeigte mit der anderen den Weg zum Stall, wo sie Schutz finden würden …
    »… da in der Herberge kein Platz für sie war
    …« Der Vikar hielt inne, das Licht des Scheinwerfers erlosch, und der Vorhang ging wieder zu.
    Herzlicher Applaus brandete auf. Dick Peacock stimmte »Angels We Have Heard on High« an und übertönte damit fast die Geräusche hinter dem Vorhang, wo nun das Bühnenbild umgebaut wurde.
    »Du kannst stolz auf deinen Vater sein«, flüsterte ich Bill zu.
    »Erinnere mich daran, es ihm zu sagen, wenn wir wieder zu Hause sind«, gab er im Flüsterton zurück.
    »Das werde ich.«
    »In jener Nacht lagerten Hirten auf freiem Feld«, las der Vikar vor, »und hielten Nachtwache bei ihrer Herde.«
    Der Vorhang öffnete sich einen Spalt breit, und das Licht fiel seitwärts auf ein Schaf, das zufrieden an einem Heuballen knabberte. Das Schaf erhielt spontan Sonderapplaus.
    »Fester ziehen«, zischte eine Stimme hinter der Bühne, und der Vorhang flog auf. Auf der Bühne standen Able Farnham und George Wetherhead, in Bademäntel gehüllt, die Köpfe mit Geschirrhandtüchern bedeckt, um die kunstvoll Kordeln geschwungen waren. Beide stützten sich auf knorrige Hirtenstäbe – Lilian Buntings clevere Lösung, die Standfestigkeit der beiden Alten zu garantieren. Zwischen ihnen erhob sich eine stämmige Palme, die sich dunkel vor dem Bühnenhintergrund abzeichnete, einer üppigen grü nen Hügellandschaft.
    »Da trat der Engel des Herrn zu ihnen«, deklamierte der Vikar, »und der Glanz des Herrn umstrahlte sie. Sie fürchteten sich sehr.«
    Mr Barlow schob einen Regler hoch, und ein zweites Scheinwerferlicht fiel auf Miranda Morrow, die sommersprossige, hübsche Dorfhexe von Finch, die nun aus den obersten Zweigen der Palme aufstieg. Mirandas glattes blondes Haar war zu einem etwas seltsamen Heiligenschein gewellt worden, und die Flügel auf ihrem Rücken erinnerten trotz ihrer weißen Farbe weniger an einen Engel als an eine Fledermaus.
    Able und George gelang eine passable Darstellung von Furcht, ohne ihre angestammten, als sicher ausgewiesenen Positionen auch nur einen Zentimeter zu verändern. Das Schaf zeigte sich unbeeindruckt.
    »Der Engel aber sagte zu ihnen …« Der Vikar hielt inne.
    »Fürchtet euch nicht«, fuhr Miranda fort und breitete die Arme aus, »denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll. Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr
    …«
    Ich hatte diese Worte schon so oft gehört, aber dennoch kamen wir jedes Mal die Tränen, und ich genoss die ganze Magie dieses Stücks. Nichts
    – nicht einmal der Anblick von Peggy Kitchen mit ihrem falschen Bart – konnte der alten Geschichte ihre geheimnisvolle Kraft rauben.
    Mein Blick wanderte von Piero Hodges winzigen Füßchen, mit denen er in der Krippe strampelte, zu Will und Rob, die tief und fest in ihren Tragetaschen schliefen, und spürte eine große Freude in mir. Alle Kinder sind Kinder des Lichts, dachte ich. Alle Kinder bringen Hoffnung in diese Welt.

    Als sich die Darsteller nach dem Ende des Spiels vor dem Publikum verneigten, wurden sie mit begeistertem Applaus bedacht. Aber der Enthusiasmus steigerte sich noch, als Willis senior Lilian Bunting auf die Bühne bat. Dick Peacock erfasste die Situation und stimmte »Hark, the Herald Angels Sing« an, und alle – Schauspieler, Techniker und Publikum – sangen mit. Der Abend endete mit einer Strophe von »Stille Nacht«.
    Will und Rob hatten genug Aufregung für einen Tag gehabt. Francesca brachte sie nach Hause, während Bill und ich unsere auswärtigen Gäste nach Anscombe Manor begleiteten. Mit typischer Unberechenbarkeit zeigte sich der Winterwind nun von seiner milden Seite, und der Himmel hatte aufgeklart. Als wir das Anwesen erreicht hatten, leuchtete ein einsamer Stern über dem Haus, in dem der junge Christopher Anscombe die glücklichsten Tage seines Lebens verbracht hatte.
    »Wir sollten reiten lernen«,
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