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talon006

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Titel: talon006
Autoren: Shion
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erklärte er mit einem Fingerzeig auf den toten Löwen, „und dann will ich nicht mehr hier sein!“
    Alice Struuten hatte sich unbeirrt mit dem Verbandsset beschäftigt und forderte Talon auf, sich endlich auszuruhen. Er sah kurz in die Augen der jungen Frau und nahm dann bereitwillig auf einem der Mauerreste Platz. Die Fotografin zerdrückte einige entsetzte Ausrufe zwischen ihren Lippen, als sie sich die Wunden genauer betrachten konnte. Trotzdem musste sie überrascht zugestehen, dass keine von ihnen genäht zu werden brauchte. Es schien tatsächlich fast so, als begannen die Verletzungen jetzt schon zu verheilen. Dennoch desinfizierte sie die größeren Wunden vorsorglich.
    „Wissen Sie eigentlich, wohin Sie gehen?“, fragte sie Talon, als sie ihre Arbeit beendete und die Verbandssachen wieder in ihrem Rucksack verstaute.
    Er nickte ihr dankend für ihre Hilfe zu und begann seinen Weg in den Dschungel.
    „Nein“, antwortete er ihr nur kurz angebunden. Janet Verhooven und Eugene Mauris warfen sich einen schnellen bedeutungsvollen Blick zu und schüttelten ihre Köpfe. Mit einem leisen Seufzen folgten sie dem Mann, der unbeirrt zwischen den gewaltigen Stämmen im Dschungel verschwand.

    Stunde um Stunde kämpfte sich die Gruppe durch den Dschungel. Die Pflanzen schienen auf fremdartige Weise mit den zerfallenen Überresten der gewaltigen Bauten aus hellem Stein verwachsen zu sein. Marmorne Streben schoben sich aus den überwucherten dunklen Stämmen der hoch aufragenden Bäume. Pflanzen wuchsen reliefartig aus lange verwitterten Säulen, das Grün ihrer Blätter durchwebt von den feinen Maserungen des Steins.
    Kein Geräusch erfüllte die Szenerie. Selbst der Wind schien an den fremden Strukturen zu zerfallen und langsam zu Boden zu sinken.
    Bis spät in die Nacht schlug sich die Gruppe einen Weg durch das unwegsame Holz. Talon trieb die anderen unermüdlich an. Sein Blick war wie versteinert nach vorne gerichtet. Das schwache Licht der Taschenlampen schnitt sich mit schmalen Kegeln einen Weg durch die Umgebung, die sie in unergründlichem Dunkel umgab. Dann jedoch gab Janet Verhooven dem hochgewachsenen Mann ein Zeichen.
    „Talon, können wir anhalten?“, entfuhr es ihr schwerfällig. „Ich kann nicht mehr.“ Sie hatte die Hände in die Seite gestützt und sah den Mann aus müden Augen an, der nur unwillig in seinem Schritt innehielt. Sie keuchte heftig. Kalter Schweiß hatte ihren khakifarbenen Overall schon lange durchtränkt. Neben ihr ließ sich Alice auf alle Viere fallen und sank erschöpft in das feuchte Moos.
    „Ich auch nicht“, stimmte sie der Teamleiterin atemlos zu. Die beiden Frauen warteten auf eine Antwort des Mannes, der sie nur schweigsam musterte. Auch Eugene war die Erschöpfung anzusehen, doch er hielt sich zurück und betrachtete sich beide Parteien aufmerksam.
    Endlich nickte Talon. Er warf einen kurzen Blick in den Himmel, der zwischen den Baumkronen unergründlich verborgen lag.
    „Gut“, erwiderte er. „Es hat sowieso keinen Sinn mehr, weiter zu ziehen. Es wird dunkel.“
    Die anderen drei ließen ihr Gepäck ohne weitere Aufforderung auf den Boden fallen und schlugen ein kleines Lager auf. Talon beobachtete die Szene nur kurz, dann schwang er sich an einer Liane hoch in einen der Bäume. Binnen weniger Augenblicke hatte er mehr als zehn Meter überwunden und war als Schemen nur noch undeutlich zwischen den Blättern zu erkennen.
    Janet sah ihm ungläubig nach. „Wohin gehen Sie?“, rief sie ihm zu und hoffte, dass er sie überhaupt noch zur Kenntnis genommen hatte. Talon drehte sich kurz um und musterte die blonde Frau aufmerksam.
    „Ich sehe mich um“, kam die kurze Antwort. „Was Sie auch tun, machen Sie kein Feuer!“ Er schwang sich weiter nach oben und verwuchs mit den Schatten der Bäume, die ihn verschlangen. Janet blickte ihm nach. Zumindest sah sie dorthin, wo sie ihn vermutete. Die Bäume um sie herum schienen immer weiter anzuwachsen und sie langsam zu erdrücken.
    „Ich bin gleich zurück“, hörte sie plötzlich Talons Stimme aus der grünen Wand. Sie belächelte sich selbst, als sie spürte, wie sehr sie die Worte beruhigten. Kopfschüttelnd öffnete sie ihren Rucksack und zog ein kleines Handtuch hervor, um sich wenigstens den groben Schmutz und Schweiß abzuwischen.
    Alice Struuten kam zu ihr herüber, einen Fuß vorsichtig vor den anderen setzend. So wenig sie die brünette Frau ausstehen konnte, so sehr war sie für ihre Gesellschaft dankbar. Sie
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