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Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk
Autoren: T.C. Boyle
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einzige, der die Verbindung unterbrechen konnte.
    Hinter ihr war eine Bewegung, eine Frau schrie auf. Abermals Donner. Er sah ihre Augen, ihre Lippen, hörte ihre flache, tonlose Stimme, in der keine Angst war, jetzt nicht mehr. »Was willst du?«
    Alles lief auf diesen Augenblick hinaus, auf diese Frage, auf ihre sich bewegenden Lippen und den Geruch ihres Atems, die Wärme ihres Atems in seinem Gesicht, auf das Tatsächliche und Wirkliche: Was willst du? Die Frage überraschte ihn. Sie ließ ihn jäh innehalten. Sie ließ ihn erstarren. Denn er hatte eigentlich nicht über den Augenblick hinausgedacht, und es war Schwäche, reine Schwäche, die ihn hierhergebracht hatte. Das erkannte er jetzt. Er erkannte es deutlich, es war eine Wahrheit, die Wahrheit seines Lebens. Und er erkannte, daß sie keine Angst hatte und daß nichts von alldem noch irgend etwas zu bedeuten hatte. Da-na hatte Natalia ihn genannt. Er dachte an Mill Valley, an das Haus dort, an das Haus in Garrison, an das Gesicht seiner Tochter, gestrandet auf der Veranda. Da-na, Da-na, Da-na. Die Menge war in Bewegung, man starrte ihn an, man starrte sie beide an, und er hatte den winzigen Bruchteil einer Sekunde, um über die Frage nachzudenken, bevor die Antwort über seine Lippen kam, und die Antwort hatte überhaupt nichts mit ihr zu tun – sie hatte einzig und allein mit ihm zu tun, mit Peck Wilson, einem Trottel, einem Clown, einem Hochstapler in einem zerrissenen Seidenanzug, einem Mann, der nichts wert war, weniger als nichts.
    Er schüttelte den Kopf. Senkte den Blick. »Nichts«, sagte er. Er wußte nicht, ob sie ihn verstehen konnte oder nicht, und es war ihm auch gleichgültig. Und dann setzte er sich in Bewegung, reckte die Schultern und zupfte am Revers seines Jacketts, schob sich durch die Menge und stieg in den Zug. Er sah sich nicht um.

EPILOG

    Es war spät, schon nach neun, doch Bridger hatte nicht vor zu gehen. Er war nicht mal hungrig, obwohl irgendwo in den hinteren Regionen seines Kopfes das Icon von Campbell’s Chunky Soup leuchtete wie eine Heiligenfigur in einem Schrein. Die Suppe, die sich ißt wie eine vollständige Mahlzeit , lautete der Werbeslogan, und er und Deet-Deet hatten damit herumgespielt und eine digitale Suppendose mit Streichholzbeinchen geschaffen, gekrönt von Radkos kantigem Schädel und mißmutigem Gesicht: Der Produzent, der sich ißt wie ein Spezialeffekt . Und wie sollte eine Suppe sich überhaupt essen? Nahm sie einen Löffel? Bestand sie aus Freßzellen? Hatte sie einen Mund? Bridger machte Überstunden, denn er hatte sonst nichts zu tun und wollte sich Radkos Gewogenheit sichern, seit dieser ihn trotz erheblicher Vorbehalte wieder eingestellt hatte. Die junge Frau – wohl eher noch ein Mädchen –, die ihn ersetzen sollte, hatte sich nicht lange gehalten. Sie hieß Kate und war ein bißchen verrückt – so jedenfalls stellte Deet-Deet es dar. Sie kam eines Tages mit einem Brustimplantat, das sie aus der Bügelbrett- in die Zeppelinklasse katapultierte. Sie war eine Primadonna – oder, wie sie selbst es ausdrückte, eine Diva –, doch bei Digital Dynasty hieß sie nur Phisher, weil sie ständig nach Komplimenten phischte. Jedenfalls war sie weg, und er war wieder da. Und er hatte vor, den Ball flach zu halten und das Beste daraus zu machen.
    Die einzige Lichtquelle in dem großen Raum mit den fleckigen Betonwänden war die Beleuchtung über dem Notausgang, die Radko zur Beschwichtigung der Gewerbeaufsicht hatte anbringen lassen, als er die Arbeitsnischen und Computer montiert und San Roques letzte mechanische Werkstatt in ein Studio für Spezialeffekte umgewandelt hatte. Bridger war das ganz recht. Zur Unterhaltung hatte er seinen iPod, und die Suppendose stand neben der Kaffeekanne auf dem Bord und harrte der Mikrowelle. Bis dahin spendete der Bildschirm ihm Trost, den Trost einer proportional verkleinerten, bearbeiteten, auf das Wesentliche reduzierten Welt, in der die Farben intensiver und alle störenden Elemente beseitigt waren. Er arbeitete an einem Film, der am Thanksgiving-Wochenende anlaufen sollte, einem Remake von Der Wilde mit The Kade in der Rolle von Marlon Brando und Lara Sikorsky als Tochter des Polizeichefs, wobei ihre Rolle allerdings abgeändert und erweitert worden war, um die postfeministischen Realitäten des 21. Jahrhunderts widerzuspiegeln. Lara war jetzt ebenfalls motorradbegeistert, und es gab eine Reihe spektakulärer Sprünge und Motorrad-Pas-de-deux, mit denen Lara und
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