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Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk
Autoren: T.C. Boyle
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Sein Vater werde sich freuen, ihn zu sehen, und der Hund ebenfalls, und er könne bleiben, solange er wolle, denn im Gästezimmer sei niemand gewesen, seit Junie und Al im Frühjahr dagewesen seien. Wußte er eigentlich, daß sie ihr Geschäft verkauft und alles für einen vorzeitigen Ruhestand geregelt hatten? War das zu glauben? Junie und Al im Ruhestand? Als er auf den Rufton lauschte, stellte er sich Dana unwillkürlich in Bewegung vor: wie sie an der Grand Central Station aus einem Taxi stieg und das Licht rings um sie her erstrahlte und ein bunter Schwarm Tauben vom Bürgersteig aufstob, oder wie sie mit wippendem Fuß, ein Kreuzworträtsel vor sich, in einem Zug in Richtung Norden saß, dem sein Zug bei Tarrytown oder Dobbs Ferry oder so begegnen würde. Die stumpf vor sich hin starrenden Gesichter der Reisenden würden in einem Sekundenbruchteil vorbeigezogen sein, und ihres wäre nur eines von vielen. Es meldete sich niemand. Seine Mutter war in bester Stimmung. Sie beugte sich zu ihm und las ihm Zeitungsartikel vor, nippte an ihrem Kaffee und streifte mit der Spitze des einen Fußes den Schuh vom anderen Fuß, um gleich darauf wieder hineinzuschlüpfen, und wenn sie ihm eine Frage stellte, die eine Antwort erforderte – »Wie ist sie denn so? Ist es was Ernstes? Die Verständigung muß doch, ich weiß nicht, irgendwie schwierig sein« –, kritzelte er unbeholfen etwas auf ein Papiertuch, das er von der Toilette geholt hatte. Toll. Ja. Nicht sehr.
    Dann saßen sie in einem Taxi. Auf den Straßen lastete das Licht. Es waren Monumente aus Licht, die von den Gebäuden geformt und geschaffen waren, alles im Stillstand, bis das Taxi um eine Ecke und noch eine Ecke bog und die Last abermals spürbar wurde, und er konnte nicht schlucken und mußte den Fahrer mit Handzeichen bitten anzuhalten, damit er aussteigen und einen riesigen, leuchtendroten Becher Cola und Eis kaufen und durch den Trinkhalm wohltuend kühlende Schlucke davon trinken konnte. Und dann waren sie am Haus von Danas Mutter angekommen, der Portier telefonierte hinauf, und Bridger musterte im Aufzug das Gesicht seiner Mutter und fragte sich, ob diese Begegnung der Mütter etwas zu bedeuten hatte, und wenn ja, was. Vera erwartete sie an der Tür. Sie hatte sich sorgfältig gekämmt und Lippenstift aufgelegt. »Du Armer«, sagte sie – oder irgend etwas in dieser Richtung – und umarmte ihn, bevor er sie seiner Mutter vorstellen konnte. Das tat er einen Augenblick später, mit einem Schulterzucken und einer ausladenden Geste, begleitet von einer Grimasse, die sein Gesicht – die Seite, mit der er auf den Boden aufgeschlagen war – erneut schmerzen ließ.
    Er sah, daß seine Mutter angespannt war. Ihr Lächeln war automatisch, und ihr Blick schwenkte von Vera zur offenen Tür und dem dämmrigen Inneren der Wohnung. Sie wußte nicht, was sie hier erwartete – sie hatte keinerlei Erfahrung im Umgang mit Gehörlosen und befand sich auf unbekanntem Territorium –, doch sie streckte die Hand aus und begrüßte Vera, und dann traten sie plaudernd ins Wohnzimmer. »Möchten Sie etwas trinken?« fragte Vera, und er sah, daß sie sich bemüht hatte, das Durcheinander zu bändigen, so daß man Sofa und Schaukelstuhl benutzen und die Getränke und die blaue Erdnußdose auf der freigeräumten kleinen Fläche des Couchtischs abstellen konnte. Er merkte, daß seine Mutter das alles einer eingehenden Musterung unterzog, und hätte die Situation gern entschärft und eine lockere Bemerkung gemacht, damit die beiden sich entspannten, doch er konnte nichts anderes tun, als den roten Becher zu schütteln und das Eis klirren zu lassen. Seine Mutter, die zweifelnd den Schaukelstuhl ansah, hörte für einen Augenblick auf zu lächeln. »Wasser«, sagte sie, »bitte.«
    Danas Mutter wollte sich gerade abwenden, froh, sich diesem kleinen Ritual des Willkommenheißens und der Gastfreundschaft widmen zu können, als er seinen linken Arm in ihr Blickfeld schwenkte – eine plötzliche spastische Geste, die vermutlich aussah, als ringe er um sein Gleichgewicht, doch sie hatte die gewünschte Wirkung, denn Vera drehte sich zu ihm um. Eine kleine Pause trat ein, beide Frauen sahen ihn an, und dann gebärdete er, so gut er es unter diesen Umständen konnte: Wo ist Dana?
    Vera sah seine Mutter an und wandte sich dann zu ihm. »Sie schläft«, sagte sie. »Ich hab sie ausschlafen lassen. Ich meine, nach dem, was sie durchgemacht hat... Besonders gestern.« Sie holte tief Luft.
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