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Tal ohne Sonne

Tal ohne Sonne

Titel: Tal ohne Sonne
Autoren: Heinz G. Konsalik
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einer Stelle hörte die Tageszählung auf, dann wurde die Schrift zittriger, der Text verworrener. Zwischen den Eintragungen mußten schließlich Monate liegen, vielleicht Jahre. Und dann wurde die Schrift unleserlich, die Worte gaben keinen Sinn mehr, sie waren die schreckliche Bestätigung eines geistigen Verfalls. Wann Patrik aufgehört hatte, überhaupt noch ein Wort zu schreiben, war nicht ersichtlich, aber es mußte schon einige Jahre hersein. Das letzte, was Leonora noch entziffern konnte, war der Satz: »Wieder Kopfjäger. Wieder muß ich töten. Aber ich kann es jetzt. Ich will doch leben, leben, leben!«
    Erschüttert trat sie aus der Höhle, lehnte sich an Zynakers Schulter und schluchzte. »Laß uns gehen«, sagte sie, als sie sich etwas beruhigt hatte. »Ich habe meinen Vater gefunden, er lebt, er ist glücklich in seinem Leben. Wir … wir haben unser Ziel erreicht. Laß uns gehen.«
    »Vielleicht bringe ich ihn doch noch dazu, ins Dorf zu kommen.« Schmitz blickte zu Patrik hinüber, der wieder in die Weite starrte, als sei er allein. »Lakta und ich werden bei ihm bleiben und ihm helfen, sich wieder zu erinnern. Wenn ich erreiche, daß er sich an seine Tochter erinnert, haben wir den Riegel aufgebrochen.«
    »Du willst bei ihm bleiben, Pepau?«
    »Ihr kennt jetzt den Weg. Wenn ich in einer Woche nicht zurück bin, kommt mich abholen.«
    »Und Lakta? Dai Puino wird seine Tochter vermissen. Der ganze Stamm wird auf die Suche nach ihr gehen.«
    »Lakta hat Sapa alles gesagt.«
    »Auch eure Liebe?«
    »Auch das.«
    »Und Sapa ist damit einverstanden?«
    »Ja. Sie will sogar zu Pater Lucius gehen und von dem neuen Gott hören.«
    Zynaker, Leonora und Samuel gingen an diesem Tag nicht mehr zurück zum Dorf. Als Zynaker fragte: »Sir, haben Sie etwas dagegen, daß wir über Nacht bleiben?«, antwortete Patrik: »Ich habe gerne Gäste. Machen Sie es sich bequem. Es sind Decken genug da, und die Wohnung ist groß genug. Darf ich Sie heute abend zu einer Gemüsesuppe und geschmorten Bananen einladen?«
    Es wurde ein stiller Abend und eine lange, schlaflose Nacht. Immer wieder sah Leonora zu dem Klappbett hinüber, auf dem ihr Vater lag, auf dem Rücken, die Hände gefaltet, wie aufgebahrt. Ich werde ihn von hier nicht wegbekommen, dachte sie. Was soll er auch in der anderen Welt, in der er sich nicht mehr zurechtfinden wird? Soll er von einer Anstalt in die andere verlegt werden, ein harmloser Geisteskranker, dem niemand mehr helfen kann? Soll er den Rest seines Lebens unter Irren verbringen? In einem Eßsaal essen? Mit Elektroschocks behandelt werden, die ihn nur noch tiefer in das Dunkel treiben? Er ist doch so glücklich mit seinem jetzigen Leben, er hat gelernt, den Urwald zu lieben, die Tiere, die Felsen, den Fluß, sogar den ewigen Nebel. Darf man ihn da herausreißen?
    Irgendwann schlief sie ein. Als sie aufwachte, hatte Patrik draußen schon mit Tee, Marmelade und einem runden, dunklen Brot den Tisch gedeckt.
    »Alles selbst gemacht!« sagte er stolz, als Leonora aus der Höhle kam. »Der Tee wächst da«, er zeigte irgendwohin, »die Marmelade koche ich aus Beeren, die etwas tiefer wachsen, und das Brot backe ich in einem Steinofen. Wildgetreide, müssen Sie wissen. Schmeckt etwas bitterer als normales Getreide, ist aber um so gesünder. Ich freue mich, Gäste zu haben.«
    Nach dem Frühstück traten Zynaker, Leonora und Samuel den Rückweg an. Vor allem Samuel war froh, von dem merkwürdigen weißhaarigen Mann wegzukommen. Schmitz und Lakta blieben zurück und winkten ihnen nach, bis sie oben auf dem Plateau zwischen den riesigen Bäumen verschwanden.
    »Eine schöne Lady«, sagte Patrik und stellte die Tassen auf das Tablett. »Man kann sich gut mit ihr unterhalten. Wenn sie bloß nicht immer Vater zu mir sagen würde!«
    Im Dorf war es geisterhaft still, als sie aus dem Wald kamen. Die Frauen waren in ihren Hütten, die Kinder spielten nicht mehr auf dem Dorfplatz; dafür standen überall die bemalten Krieger herum, mit Speeren, Pfeilen und Keulen bewaffnet, als stehe ein Kriegszug bevor. Auch Reißner, Pater Lucius und Kreijsman waren nicht zu sehen. Als sie näher kamen und die Hütte von Dai Puino erblicken konnten, saß in dem Flugzeugsessel, dem Symbol der Macht, nicht der Alte, sondern sein Bruder Hano Sepikula.
    Zynaker blieb ruckartig stehen und riß Leonora zurück. Er entsicherte die MPi und brachte sie in Anschlag.
    »Was … was ist denn hier geschehen?« fragte Leonora und gab sich
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