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Taken

Taken

Titel: Taken
Autoren: Erin Bowman
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schließlich erkannte sie, dass es immer geschah, wenn derjenige achtzehn wurde.
    Das erste Experiment führten sie an Ryder Phoenix durch. Am Vorabend seines achtzehnten Geburtstags saß er in der Mitte der Stadt. Alle anderen versammelten sich um ihn, und sie warteten. Dies war die erste Nacht, in der sie alle Zeugen wurden, fühlten, wie die Erde bebte, und sahen, wie das Licht am Himmel erschien. Seit dieser Nacht hatten sie den Beweis.
    Maude überzeugte die Gruppe davon, das Experiment zu wiederholen. Bei den nächsten paar Geburtstagen geschah das Gleiche. Jungen verschwanden, wurden innerhalb von Sekunden aus der Stadt gerissen, und immer am Morgen ihres achtzehnten Geburtstags. Jeder Einzelne wurde entführt, gestohlen, fiel an einem festgelegten Zeitpunkt einem immer gleichen Raub zum Opfer.
    Sobald sie das begriffen, verfielen einige Jungen in Panik. Ein paar von ihnen versuchten, noch vor ihrem achtzehnten Geburtstag zu fliehen. Sie kletterten auf den Baum im nördlichen Teil der Wälder, der so nahe an der Mauer stand, dass er ihnen beim Überqueren half. Aber sie tauchten immer wieder auf. Tot. Die meisten Jungen fanden sich damit ab, dass der Raub unvermeidlich war. Maude übernahm die Stellung ihres Bruders an der Spitze des Rats und organisierte die allererste Zeremonie. Dem Raub konnte man nicht entrinnen, aber man konnte sich darauf vorbereiten. Bei einer Zeremonie konnte sich wenigstens jeder verabschieden, was Maude bei ihrem Bruder nicht vergönnt gewesen war. Durch eine Zeremonie konnten die Menschen Frieden damit schließen.
    Ich allerdings habe noch nicht wirklich Frieden mit Blaines Verschwinden geschlossen, und ich glaube auch nicht, dass ich das jemals kann. Ja, ich weiß, es gehört zum Leben, mit den Folgen des Raubs fertigzuwerden, aber durch Blaines Verlust nehme ich es persönlich. Er ist fort und wird nie wiederkommen. Es fühlt sich auf eine Art, die ich nicht ganz in Worte fassen kann, falsch an. Vor allem ist es einfach ungerecht.
    Jemand klopft an meine Tür und reißt mich aus meinen Gedanken. Draußen ist es hell, schon Vormittag, und ich sollte bereits auf der Jagd sein, aber ich habe von dem Raub geträumt, und seit Blaines Verschwinden funktioniert meine innere Uhr nicht mehr. Ich steige aus dem Bett, ziehe meine Hosen an und gehe an die Tür.
    »Guten Morgen, du Faulpelz«, begrüßt mich Chalice. Ihre Miene ist ungewöhnlich aufgeräumt. Sie sieht wieder unversehrt aus, von den Spuren meiner Schläge ist nichts mehr zu sehen.
    »Was willst du?«, frage ich ärgerlich. Ich könnte noch im Bett liegen.
    »Maude will dich sehen.«
    »Ist das alles?«
    »Ja.«
    »Toll.« Ich knalle ihr die Tür vor der Nase zu, und ein Bild fällt von der Wand zu Boden. Wahrscheinlich sollte ich nicht so unhöflich sein, aber ich konnte Chalice noch nie leiden. Im Gegensatz zu Blaine weigere ich mich, Rechtfertigungen für ihr Verhalten zu finden.
    Ich bleibe stehen, um den heruntergefallenen Rahmen aufzuheben. Darin befindet sich eine Kohlezeichnung des Ratsgebäudes, die Blaine als Kind angefertigt hat. Durch den Sturz ist der Rahmen zerbrochen, und während ich die Stücke aufsammle, bemerke ich, dass hinter Blaines Kinderzeichnung noch etwas steckt. Das Pergament ist grob, aber nicht so verblichen wie das Kunstwerk. Ich nehme es aus den Bruchstücken und entfalte es sorgfältig.
    Es ist ein Brief, verfasst in einer Handschrift, die ich überall erkennen würde.
    An meinen ältesten Sohn , beginnt er. Es ist Mas sorgfältige, saubere Handschrift. Ich hole tief Luft und lese weiter.
    Du musst dies unbedingt lesen, es Dir einprägen und den Brief sofort verstecken. Gray darf nichts davon erfahren. Ich habe oft darüber nachgedacht, wie ich es anstellen soll, Euch beiden das Folgende zu sagen, bin aber zu dem Schluss gekommen, dass Du allein nach meinem Tod dieses Geheimnis bewahren musst. Du sollst wissen, dass ich Dir dies in meinen letzten Stunden schreibe. Ich wünschte so sehr, ich könnte Dir alles persönlich erklären, aber ich bin an mein Bett gefesselt.
    Diese Welt mit dem Raub und der Mauer ist rätselhaft und so unnatürlich, dass ich nie in der Lage gewesen bin, sie einfach so zu akzeptieren. Und ich glaube, wenn Dein achtzehnter Geburtstag kommt, wirst Du verstehen, warum ich dieses Geheimnis mit Dir geteilt habe. Die Wahrheit, oder die Suche danach, darf nicht mit mir sterben. Vor allem darfst Du Deinem Bruder nichts erzählen. Ich weiß, das wird Dir schwerfallen, aber wenn
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