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Taken

Taken

Titel: Taken
Autoren: Erin Bowman
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diesen Ruck, der mich durchläuft, wenn sie mich ansieht.
    »Egal, irgendetwas. Was möchtest du?«
    »Lass uns zum Teich gehen«, sagt sie und räumt ihre Sachen weg.
    »Welchem Teich?«
    »Dem Teich. Dem einzigen, den es gibt. Dem in der Nähe dieses Felds mit den lila Glockenblumen.«
    »Das ist eher ein See«, verbessere ich sie.
    »Ach, für mich ist es ein Teich. Komm, verschwinden wir von hier.« Und dann packt sie meine Hand und zieht mich aus dem Krankenhaus. Heute werde ich wohl nicht auf die Jagd gehen.

5. Kapitel
    Wir gehen durch die Stadt in Richtung Süden, vorbei an der Schule, der Schmiede und den zahlreichen Häusern – darunter auch meins –, die die Dorfgrenze bilden. Wo der nackte Lehmboden aufhört, wächst hohes Gras in Büscheln, bis wir schließlich die Wälder erreichen. Normalerweise jage ich nicht im südlichen Teil des Waldes. Er ist schlammiger und feuchter, und das größere Wild hält sich an die trockeneren Gebiete. Der Boden unter unseren Füßen wird weicher, je weiter wir gehen, aber in letzter Zeit hat es wenig geregnet, sodass wir nicht in die teigige Erde einsinken. Als wir das grobe Dickicht erreichen, von dem ich weiß, dass dahinter der See liegt, zupft Emma an meinem Arm, damit ich stehen bleibe.
    »Hier entlang«, sagt sie und zeigt nach rechts.
    »Aber er liegt direkt vor uns. Auf der anderen Seite dieses Gebüschs.«
    »Ich weiß, aber man hat eine bessere Aussicht, wenn man auf den Hügel klettert.«
    »Aussicht? Da ist keine Aussicht.«
    »Glaub mir, Gray. Hab Vertrauen.« Und dann steigt sie, ohne abzuwarten, ob ich ihr folge, rechts zwischen den Bäumen und Büschen hinauf, obwohl dort kein Weg verläuft. Sie rafft ihren Rock bis zu den Knien, und ich starre ihre Beine an, während sie über umgestürzte Baumstämme und Felsbrocken klettert, die uns den Weg versperren. Langsam steigen wir einen steilen Hang hinauf. Vielleicht gibt es dort ja doch etwas zu sehen.
    Als wir zwischen den Bäumen hervortreten, verschlägt es mir fast die Sprache. Wir stehen auf einem Hügel hoch über dem Wasser. Aus diesem Blickwinkel sieht es ziemlich klein und schmal aus. Ein lang gestreckter Wasserstreifen, der hinter einer weiteren Hügelkuppe verschwindet. Um uns herum wachsen die Glockenblumen mit ihren hohen, dicken Stielen, die mir bis zur Hüfte reichen. Zarte violette Blüten hängen in Büscheln von ihnen herunter und tanzen in der leichten Brise. In der Ferne ist der südlichste Teil der Mauer gerade eben noch zu erkennen.
    Emma geht voran, in das Feld hinein und zu einem einsamen Felsen auf dem Hügel. Die violetten Blumen gehen ihr fast bis zu den Schultern, aber sie klettert weiter und entzieht sich ihrem Griff.
    »Ich bin früher immer mit meinem Onkel hergekommen«, erzählt sie mir, während wir es uns auf dem Stein gemütlich machen. »Beinahe täglich. Jedenfalls bis … na, du weißt schon. Als er geholt wurde, war ich neun. Ich bin seit Jahren nicht hier gewesen.«
    »Von hier oben sieht der See wunderschön aus«, sage ich. »Und um die Wahrheit zu sagen, wirkt er aus diesem Blickwinkel viel kleiner. Ich kann beinahe verstehen, warum du ihn einen Teich genannt hast.«
    »Siehst du?«
    »Na ja, es ist trotzdem ein See. Ich versuche nur, nett zu sein.«
    Sie seufzt. »Ach ja. Das fällt dir sicher schwer.«
    »Weißt du, anders als du vielleicht denkst, bin ich kein schlechter Mensch.«
    »Und was du mit Chalice gemacht hast, war nicht gemein?«
    »Das ist etwas anderes.«
    »Es war trotzdem gemein.«
    »Okay, schön. Aber ich bin kein von Grund auf schlechter Mensch.«
    »Das akzeptiere ich einstweilen.« Sie reißt eine Handvoll Gras aus und lässt es im Wind fliegen.
    »Warum hast du es dann getan?«, fragt sie und sieht mich an. Das Sonnenlicht wird von dem Muttermal unter ihrem Auge aufgefangen, und sie sieht wirklich aus, als weine sie. »Warum warst du ehrlich wegen der Zuweisung?«
    Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich diese Frage beantworten soll. Die Erklärung hat so viele Ebenen. Ich möchte nicht Vater werden. Ich hasse diese offiziellen Zuweisungen. Ich will sie, aber nicht unter Zwang.
    »Du warst doch ehrlich, oder?«, fragt sie, als ich keine Antwort gebe. »Du hast doch nicht vor, später über mich herzufallen oder so etwas? Ich bin stärker, als ich aussehe. Wegen meiner heilenden Hände denken alle immer, dass ich so freundlich und fürsorglich bin. Aber ich kann auch energisch werden, wenn es sein muss.«
    »Davon habe ich gehört.« Ich
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