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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Autoren: Fritz J. Raddatz
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versteht er natürlich nicht, warum ich mit dem Hauskauf zögere: weil ich eben das Geld nicht habe, daß es mich strangulieren würde, daß ich den Apparat nicht in den Griff bekäme, daß jeder Anruf «Die Regenrinne leckt» mich aus der Balance brächte; noch dazu in meinem Angestellten-Beruf, der ja doch einen anderen Rhythmus hat als der Tag des freien Künstlers. Aber unser Essen mit all meinen schönen Geräten, dem alten Meißen, den Tiffany-Schälchen, den Fadengläsern und den neuen Lampen, viel Silber und allerlei Gerät und herrlichem Essen, war schon ein großer Genuß; er sieht eben jedes Detail, jedes ulkige Messerbänkchen und jeden Lichteinfall auf einer Skulptur. Ein großer Genuß.
    Rottach, den 21. August
    Zu Mary Tucholsky nach Rottach: schlimmer Eindruck, ein zusammengesunkener, ganz grau gewordener Mensch, eine erlöschende Kerze, nur noch (dann geradezu ridiküle) Reste ihrer alten Energie. Fahl, schlotterig, ein paar central issues («Die Stützner kann kein Englisch» oder «Das Tucholsky-Archiv bin ich» oder «Das Haus gehört ja mir, ich kann damit machen, was ich will») – – – aber sonst alles durcheinanderbringend: UNSER UNGELEBTES LEBEN nennt sie «Unser ungemachtes Bett» (o heiliger Freud!) und Tucholskys BRIEFE AN EINE KATHOLIKIN seine «Briefe an eine Kommunistin». Will das Haus verkaufen und ins Altersheim – aber wie soll das alles, z. B. die Post, arrangiert werden? Weiß sie selber nicht – in meine Trauer mischte sich auch die Bitterkeit: Von mir nimmt man alles, so selbstverständlich – sie erzählt zwar, daß ihre Sekretärin aus einem entfernten Ort jeden Tag per Taxi hin- und herfährt; sie fragt aber nicht, wer den Flug nach München bezahlt. Nächsten Tag Sammlung Wormland, die mich fast glücklich machte; meine «Sammlung ist dagegen wie ein äffisches Echo»; der «Vergleich» bietet sich deshalb an, weil er in dieselbe Richtung sammelte: Wunderlich, Hundertwasser, Max Ernst, Botero, Magritte. Nur meins eben, außer Paul (und meinem besseren Hundertwasser), alles klein, klein – – – und da groß, groß. Trotzdem oder deswegen eine herrliche Ausstellung. Dann noch kurz in einer SEHR schönen Wunderlich-Ausstellung: immer wieder nicht zu begreifen, warum die Leute so auf ihm herumhacken – dahingegen wirklich gute Bilder und Lithos und Gouachen, auch schöne Objekte. Auch hier wieder merkwürdig: In derselben Artcurial-Galerie war neulich eine Ausstellung von «meinem» Chadwick. Mittwoch Bayreuth. Meistersinger. Unerheblich. Nur EIN schöner Satz: «Versungen und vertan.» Merken. Donnerstag Tiefpunkt der Woche: Hans Mayer in Stuttgart. Der Egoismus des Mannes hat nun endgültig krankhafte Züge angenommen, hob schon im Hotel – zwecks Abendessenverabredung – den Hörer ab mit dem Satz: «Ich sehe gerade mich im Fernsehen …» Nicht «Guten Abend» oder «Gute Reise gehabt?» (war immerhin seinetwegen gekommen) – ich, ich, ich. Das ging im Galopp den ganzen Abend, zu dem er nicht einmal einen Tisch bestellt hatte und nun – wo er ist, ißt, MUSS es fein sein – in einem behelfsmäßig hergerichteten Hotelsalon das von ihm direkt BEFOHLENE – «also wir essen kalt» – Essen eingenommen wurde. Gleich nach der Vorspeise platzte die Kröte – ich verfolge ihn seit Jahren, kränke ihn seit Jahren, vergleiche mich, auf ungute Weise, mit ihm, habe keine Zeile von ihm gelesen und wisse überhaupt nicht, wer er sei. Hätte ich nicht das unglaublich verwinkelt-liebe FS von Gerd bekommen (der auf diese Weise einen Eklat in der deutschen Literaturscene zu verhindern wußte! …), ich wäre mitten beim Tatar aufgestanden, auf Nimmerwiedersehen. So beruhigte ich den Mann wie einen Kranken, rief alte Erinnerungen herauf, beschwor sein Gedächtnis, wo ich was für ihn getan habe, in Wort und Schrift und Fluchthilfe mit seiner Bibliothek. Anfangs noch als einzige Reaktion sein aggressives, kindhaftes «Nein, nein, ich habe viele Beweise, lassen wir es, das Gespräch hat keinen Sinn» – bis er (weil ich so energisch wurde, fast laut?) wie ein Schiff bei anderem Wind abdrehte; was allerdings hieß: den GANZEN Abend NUR ausschließlich von sich sprach, vom 2. Band seiner – sicherlich wieder wie der erste verlogenen – Memoiren, wie ALLE Leute den 1. Band gelesen hätten (Auflage 12.000), wie und bei wem und vor allem MIT wem er eingeladen sei zu Vorträgen (das sind doch fabelhafte Leute, müssen Sie doch zugeben …), wie er dort herrlich bewirtet und da
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