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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923
Autoren: Franz Kafka
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einfach. Als ich noch zufrieden war, wollte ich unzufrieden sein und stieß mich mit allen Mitteln der Zeit und der Tradition, die mir zugänglich waren, in die Unzufriedenheit, nun wollte ich zurückkehren können. Ich war also immer unzufrieden, auch mit meiner Zufriedenheit.
    Merkwürdig, daß aus Komödie bei genügender Systematik Wirklichkeit werden kann. Mein geistiger N iedergang begann mit kindischem allerdings kindisch-bewußtem Spiel. Ich ließ z.
    B. Gesichtsmuskeln künstlich zusammenzucken, ich ging mit hinter dem Kopf gekreuzten Armen über den Graben. Kindlich-widerliches aber erfolgreiches Spiel. (Ähnlich war es mit der Entwicklung des Schreibens, nur daß diese Entwicklung leider später stockte.) Wenn es möglich ist auf diese Weise das Unglück herbeizuzwingen, sollte alles herbeizwingbar sein. Ich kann, so sehr mich die Entwicklung zu widerlegen scheint und so sehr es überhaupt meinem Wesen widerspricht so zu denken, auf keine Weise zugeben, daß die ersten Anfänge meines
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    Unglücks innerlich notwendig waren, sie mögen Notwendigkeit gehabt haben, aber nicht innerliche, sie kamen angeflogen wie Fliegen und wären so leicht wie sie zu vertreiben gewesen.
    Das Unglück auf dem andern Ufer wäre ebenso groß,
    wahrscheinlich größer (infolge
    meiner Schwäche), die
    Erfahrung dessen habe ich doch, der Hebel zittert
    gewissermaßen noch von der Zeit her, als ich ihn zuletzt umgestellt habe, warum vergrößere ich aber dann das Unglück auf diesem Ufer zu sein durch die Sehnsucht nach dem andern.
    25 (Januar 1922) Traurig mit Grund. Abhängig von diesem.
    Immer in Gefahr. Kein Ausweg. Wie leicht war es das erste Mal, wie schwer diesmal. Wie hilflos schaut mich der Tyrann an: "Dorthin führst Du mich?" Trotzallem also doch nicht Ruhe, am Nachmittag ist die Hoffnung des Morgens begraben. Mit einem solchen Leben in Liebe sich abfinden ist unmöglich, es gab gewiß noch keinen Menschen, der das hätte können. Wenn andere Menschen an diese Grenze kamen – und schon hierher gekommen zu sein ist erbärmlich – schwenkten sie ab, ich kann es nicht. Mir scheint es auch, als wäre ich gar nicht hierhergekommen, sondern schon als kleines Kind hingedrängt und dort mit Ketten festgehalten worden, nur das Bewußtsein des Unglücks dämmerte allmählich auf, das Unglück selbst war fertig, es bedurfte nur eines durchdringenden, keines prophetischen Blicks, um es zu sehn.
    Am Morgen dachte ich: "Auf diese Weise kannst Du doch vielleicht leben, jetzt behüte dieses Leben nur vor Frauen."
    Behüte es vor Frauen, aber in dem Auf- diese-Weise stecken sie schon.
    Zu sagen, daß Du mich verlassen hast, wäre sehr ungerecht, aber daß ich verlassen war, und zeitweise schrecklich, ist wahr.
    Auch im Sinne des "Entschlusses" habe ich das Recht über meine Lage grenzenlos verzweifelt zu sein.
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    27. (Januar 1922) Spindelmühle. Notwendigkeit der
    Unabhängigkeit von dem mit Ungeschick gemischtem Unglück des doppelten Schlittens, des zerbrochenen Koffers, des wackelnden Tisches, des schlechten Lichtes, der Unmöglichkeit im Hotel nachmittag Ruhe zu haben udgl. Das ist nicht zu erreichen indem man es vernachlässigt, denn es kann nicht vernachlässigt werden, das ist nur zu erreichen durch Heranführung neuer Kräfte. Hier allerdings gibt es Überraschungen, das muß der trostloseste Mensch zugeben, es kann erfahrungsgemäß aus Nichts etwas kommen, aus dem verfallenen Schweinestall der Kutscher mit den Pferden kriechen.
    Die abbröckelnden Kräfte während der Schlittenfahr t. Man kann ein Leben nicht so einrichten wie ein Turner den Handstand
    Merkwürdiger, geheimnisvoller, vielleicht gefährlicher, vielleicht erlösender Trost des Schreibens: das Hinausspringen aus der Totschlägerreihe Tat – Beobachtung, Tat –
    Beobachtung, indem eine höhere Art der Beobachtung geschaffen wird, eine höhere, keine schärfere, und je höher sie ist, je unerreichbarer von der "Reihe" aus, desto unabhängiger wird sie, desto mehr eigenen Gesetzen der Bewegung folgend, desto unberechenbarer, freudiger, steigender ihr Weg.
    Trotzdem ich dem Hotel deutlich meinen Namen geschrieben habe, trotzdem auch sie mir zweimal schon richtig geschrieben haben, steht doch unten auf der Tafel Josef K. Soll ich sie aufklären oder soll ich mich von ihnen aufklären lassen?
    28 (Januar 1922) Ein wenig bewußtlos müde vom Rodeln, es gibt noch Waffen, so selten angewendet, ich dringe so schwer zu ihnen vor, weil ich die Freude an ihrem
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