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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923
Autoren: Franz Kafka
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den "Kampf" erzielte wahrscheinliche Höchststärke des Negativen macht die Entscheidung zwischen Irrsinn oder Sicherung nahe bevorstehend.
    Glück mit Menschen beisammen zu sein.
    3 (Februar 1922) Schlaflos, fast gänzlich; von Träumen geplagt, so wie wenn sie in mich, in ein widerwilliges Material eingekratzt würden.
    Eine Schwäche, ein Mangel ist deutlich, aber schwer zu beschreiben, es ist eine Mischung von Ängstlichkeit, Zurückhaltung, Geschwätzigkeit, Lauheit, ich will damit etwas Bestimmtes umschreiben, eine Gruppe von Schwächen, die in einem besondern Aspekt eine einzige genau charakterisierte Schwäche darstellen (die sich nicht mischt mit den großen Lastern wie Lügenhaftigkeit, Eitelkeit u. s. w.). Diese Schwäche hält mich sowohl vom Irrsinn wie von jedem Aufstieg ab. Dafür daß sie mich vom Irrsinn abhält, pflege ich sie; aus Angst vor Irrsinn opfere ich den Aufstieg und werde dieses Geschäft auf dieser Ebene, die keine Geschäfte kennt, gewiß verlieren. Wenn nicht die Schlaflosigkeit sich einmischt und mit ihrer nächtlich-täglichen Arbeit alles niederbricht, was hindert, und den Weg freilegt. Dann wird aber wiederum nur der Irrsinn mich
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    aufnehmen, da ich den Aufstieg, den man nur erreicht, wenn man ihn will, nicht wollte.
    4 (Februar 1922) In der verzweifelten Kälte, das veränderte Gesicht, die unbegreiflichen andern,
    Was M. sagte, ohne die Wahrheit dessen vollständig verstehen zu können (es gibt auch einen berechtigten traurigen Hochmut) über das Glück des Plauderns mit Menschen. Wie kann andere Menschen als mich das Plaudern freue n! Zu spät wahrscheinlich und auf eigentümlichem Umweg Rückkehr zu den Menschen.
    5 (Februar 1922) Ihnen entlaufen. Irgendein geschickter Sprung. Zuhause bei der Lampe im stillen Zimmer.
    Unvorsichtig es zu sagen. Es ruft sie aus den Wäldern, wie wenn man die Lampe angezündet hätte, um ihnen auf die Spur zu helfen.
    6 (Februar 1922) Trost im Anhören dessen, daß einer in Paris, Brüssel, London, Liverpool auf einem Brasiliendampfer, der auf dem Amazonenstrom bis an die Grenze von Peru führte, gedient hat, im Krieg die schrecklichen Leiden des Winterfeldzuges in den 7 Gemeinden verhältnismäßig leicht ertragen hat, weil er aus der Kindheit an Strapazen gewöhnt war. Der Trost liegt nicht nur in der demonstrativen Vorführung solcher Möglichkeiten, sondern in dem Lustgefühl, daß mit diesen Errungenschaften der ersten Ebene gleichzeitig notwendig auch auf der zweiten Ebene vieles erkämpft, vieles aus verkrampften Fäusten gerissen worden sein muß. Es ist also möglich.
    7 (Februar 1922) geschützt und verbraucht von K. und H.
    8 (Februar 1922) äußerst mißbraucht von beiden und doch –
    leben könnte ich zwar so nicht und es ist kein Leben, es ist ein Seilziehn, bei dem der andere fortwährend arbeitet und siegt und doch mich niemals hinüberbekommt, aber eine friedliche Betäubung ist es ähnlich wie damals bei W.
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    9 (Februar 1922) zwei Tage verloren aber die gleichen 2 Tage gebraucht zur Einbürgerung
    10 (Februar 1922) schlaflos, ohne den geringsten
    Zusammenhang mit Menschen außer dem von ihnen selbst hergestellten, der mich für den Augenblick überzeugt wie alles was sie tun
    Neuer Angriff von G. Es ist klarer als irgendetwas sonst, daß ich, von rechts und links von übermächtigen Feinden angegriffen, weder nach rechts noch links ausweichen kann, nur vorwärts hungriges Tier führt der Weg zur eßbaren Nahrung, atembaren Luft, freiem Leben, sei es auch hinter dem Leben. Du führst die Massen, großer langer Feldherr, führe die Verzweifelten durch die unter dem Schnee für niemanden sonst auffindbaren Paßstraßen des Gebirges. Und wer gibt Dir die Kraft? Wer Dir die Klarheit des Blickes gibt.
    Der Feldherr stand beim Fenster der verfallenen Hütte und blickte mit aufgerissenen, unschließbaren Augen in die Reihen der draußen in Schnee und
    trübem Mondlicht
    vorbeimarschierenden Truppen. Hie und da schien es ihm, als mache ein Soldat außerhalb der Reihen beim Fenster halt, drücke das Gesicht an die Scheiben, blicke ihn kurz an und gehe dann weiter. Trotzdem es immer ein anderer Soldat war, schien es immer der gleiche zu sein, ein Gesicht mit starken Knochen, dicken Wangen, runden Augen, rauher gelblicher Haut und immer während er weggieng, brachte er das Riemenzeug in Ordnung, zuckte mit den Schultern und schwang die Beine, um wieder in Taktschritt mit der im Hintergrund unverändert marschierenden Masse zu
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