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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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schließlich nicht beschützen, wenn ich nicht weiß, was dieses Licht bedeutet, oder?«
    Ich fand heraus, was es bedeutete. Kurz bevor es passierte.
    Ben arbeitete wie üblich zu Hause, Margot schlief. Der Duft von frisch gebackenem Brot stieg von der Küche nach oben. Er lockte ihn vom Schreibtisch weg, lang genug, um mir Gelegenheit zu geben, einen Blick auf den Fall zu werfen, mit dem er gerade befasst war: ein Terrorist unter Mordanklage. Um den Namen des Terroristen entdeckte ich einen zarten, kreisförmigen Schatten.
    Ich bin nicht blöd. Ich kapierte sofort.
    Nur, weil es sich um eine menschliche Entscheidung handelte und ich darum angehalten war, es so geschehen zu lassen, konnte ich doch nicht die Hände in den Schoß legen und tatenlos bleiben. Als das Schattenlicht sich wieder herein- und zielgerichtet an Ben und Una hochschlängelte, trampelte ich nach Kräften darauf herum. Es wusste natürlich, dass ich da war, aber dieses Mal zog es sich nicht wieder zurück. Es war jetzt stärker als beim letzten Mal, es war grau wie der Himmel vor einem Wolkenbruch und so greifbar wie ein Gartenschlauch. Doch nichts, was ich tat, ließ es verschwinden. Ich schrie, und es verschwand nicht. Ich legte mich mit dem ganzen Körper darauf und beschwor es, zu sterben, doch es verschwand nicht.
    Ben hatte Monate gebraucht, Una zu überzeugen, dass sie Margot auch einmal der Obhut eines anderen Menschen überlassen konnten. Jetzt, da die Adoption in greifbare Nähe gerückt war, wollte er seine Frau gerne ausführen, um mit ihr zu feiern. Lily, die sanftmütige ältere Nachbarin von gegenüber, erklärte sich bereit, ein paar Stunden auf Margot aufzupassen, während Ben und Una bei einem romantischen Abendessen bei Kerzenlicht saßen.
    Ich sah, wie der Schatten ihrem Wagen folgte. Er war überhaupt nicht an Margot interessiert. Die Kleine krabbelte fröhlich in Lilys Küche herum, beschäftigte sich mit einem Holzlöffel und einer nackten Barbiepuppe und strahlte jenes sanfte goldene Licht aus, das Una auf sie übertragen hatte.
    Als die Autobombe explodierte, sah ich, wie das Licht ein wenig blasser wurde, aber ich sorgte dafür, dass es nicht ganz erlosch. Wenn mir nur so viel von Unas Liebe bliebe, wäre ich zufrieden. Was hatte ich auch für eine Wahl?

– 5 –
    DIE HALB OFFENE TÜR
    Margot wie eine Mutter zu sein, fiel mir viel leichter, als es mir damals mit meinem eigenen Sohn Theo gefallen war. Das ist nicht gegen Theo persönlich gerichtet. Ich habe ihn bloß zu einem Zeitpunkt in meinem Leben bekommen, als ich noch nicht bereit war. Mutterschaft bedeutete für mich damals Schlaf- und Orientierungslosigkeit sowie Selbstmordgedanken – und zwar lange Zeit, bevor der Begriff der postnatalen Depression geprägt und dann gar gesellschaftlich anerkannt wurde.
    Margot verbrachte die nächsten Tage bei Lily. Die Nachricht von der Bombe mobilisierte die gesamte Nachbarschaft. Man machte der Kleinen mit Geschenken des Mitgefühls zum Verlust ihrer zukünftigen Eltern die Aufwartung. Dann sah ich mit an, wie eine Sozialarbeiterin aufkreuzte, um Margot zu einer neuen Pflegefamilie zu bringen. Die Dame vom Amt hieß Marion Trimble, war jung, frisch ausgebildet, voller Tatendrang – aber leider auch grenzenlos naiv. Eine behütete Kindheit mit liebevollen Eltern kann die Menschen zu unguten Entscheidungen verleiten. In diesem Fall verleitete sie Marion dazu, Margot zu Pflegeeltern zu bringen, deren Lächeln genauso falsch war wie ihre Absichten.
    Padraig und Sally Teague wohnten bei Cavehill in Belfast, in der Nähe des Zoos. Ihr kleines Haus grenzte hinten an ein baufälliges, graffitibeschmiertes Gebäude. Die Fenster waren mit Brettern zugenagelt, Glasscherben und Müll lagen im Garten vor und hinter dem Haus verteilt. Hohe, wild wuchernde Hecken schirmten das Grundstück von der gegenüberliegenden Hauptstraße ab. Das Haus mutete einsam und verlassen an. Doch weit gefehlt.
    Ihr Entschluss, sich als Pflegefamilie zu bewerben, wurde eines Morgens gefasst, nachdem Padraig eine Zeitungsannonce gesehen hatte, in der Pflegeeltern für fünfundzwanzig Pfund pro Woche gesucht wurden. Wohlgemerkt, wir reden hier von den Sechzigern: Da konnte man noch für unter tausend Pfund ein Haus kaufen. Padraig musste nicht lange herumrechnen, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass sie mit dem Geld, das sie als
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