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Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)

Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)

Titel: Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)
Autoren: Karim El-Gawhary
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Tochter entführt, die Wohnung ausgeraubt oder das Auto geklaut ist und man keine Adresse hat, an die man sich wenden kann, dann, sagt Hussein, „ist das eine Form von passiver staatlicher Gewalt gegen die Bürger“.
    Der dritte Schwachpunkt der Revolution sind die immer wieder aufflammenden Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und christlichen Kopten, die ungefähr zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen. Der Zündstoff, der sich leicht entflammen lässt, besteht aus einer Mischung aus Armut, Analphabetentum und radikalen islamistischen Parolen, mit denen Rattenfänger vor allem in den Armenvierteln ihr Unwesen treiben. So war es kein Zufall, dass ausgerechnet in einem solchen Viertel in Kairo, in Imbaba, im Mai eine Kirche brannte und vor einer anderen eine Schießerei ausbrach. Bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen wurden 13 Menschen getötet. Das Gerücht, dass eine zum Islam konvertierte Frau in einer Kirche festgehalten würde, hatte ausgereicht, um die Lage innerhalb weniger Minuten zu einer konfessionellen Explosion zu bringen.
    Hinter den Angriffen auf die Kirchen stand eine kleine, aber sehr laute Gruppe radikaler Islamisten oder Salafisten, wie sie jetzt oft genannt werden, die einen konservativen, mittelalterlichen Islam predigen, in dem Christen keinen gleichberechtigten Platz haben. Sie waren das Instrument, dessen sich die Gegenrevolutionäre bedienten. Der „Talk in Town“ in Kairo sprach davon, dass die alten Vertreter der Staatssicherheit und des Mubarak-Regimes die Salafisten von der Leine gelassen hatten, um Chaos zu stiften. Auch auf Saudi-Arabien wurde mit dem Finger gedeutet, denn von dort kommt nicht nur die salafistische Ideologie, sondern auch das Geld, mit dem die radikalen Scheichs ausgeschickt werden, um das Gift ihrer Ideen in Ägypten zu verbreiten.
    Doch zumindest in diesem Fall ging die Rechnung nur begrenzt auf. Denn die Anschläge auf die Kirchen wurden von vielen Ägyptern erstmals nicht nur als ein Angriff auf die Christen, sondern als eine Attacke auf „ihre Revolution“ betrachtet. Gemeinsam protestierten sie am Freitag nach dem Kirchenangriff auf dem Tahrir-Platz. Die Symbole des Halbmonds und des Kreuzes, als Zeichen der nationalen Einheit, gehörten zu Standardausstattung jeder revolutionären Demonstration.
    Zwar betrachteten die Kopten die nun offen agierenden radikalen Islamisten mit großer Sorge, andererseits machte sich vor allem unter jungen Kopten ein neues Selbstbewusstsein breit. „Früher wollten meine Kinder immer auswandern. Jetzt haben sie als Christen das erste Mal das Gefühl dazuzugehören. Das hat die Revolution erreicht“, beschreibt der koptische Intellektuelle Kamal Zakhr die neue christliche Gefühlslage.
    Übrigens ließ es sich der ägyptische Interims-Premier Essam Scharaf nicht nehmen, an der Eröffnung der in nur einem Monat renovierten Kirche der Jungfrau Maria in Imbaba persönlich teilzunehmen. Die Kirche hat jetzt neuerdings zwei Pforten zur Straße. Ein schönes Symbol für den Versuch, die Isolation zu durchbrechen, in die die Christen mit der Islamisierung seit den 1980er Jahren geraten sind.
    Neu ist auch die offene Auseinandersetzung mit den radikalen islamistischen Hasspredigern. Deren Videoclips, in denen sie dazu aufrufen, „sich den christlichen Hunden entgegenzustellen“, wurden nun zur Primetime in den Talkshows im Fernsehen gezeigt und von politischen Kommentatoren, moderaten Theologen oder hochrangigen Polizeioffizieren zerrissen. Unter Mubarak wurden radikale Scheichs und ihre Anhänger nur als Sicherheitsproblem betrachtet. Im neuen Ägypten beginnt man sich auch gesellschaftlich und politisch dieser Herausforderung anzunehmen. Wie es die ägyptische Bloggerin Zeinobia im Sinne vieler Ägypter deutlich schreibt: „Wir haben die Revolution nicht gemacht, damit irgendwelche radikalen Islamisten sie uns wieder wegnehmen.“
    Bin Laden ist in Ägypten gestorben, bevor er in Pakistan umgebracht wurde
    Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Buches ist es genau zehn Jahre her, dass Osama Bin Laden seine Heilige-Krieg-Piloten gen New York und Washington schickte. Damals galt er in der arabischen und islamischen Welt nicht wenigen als Held. Es war eine Zeit der politischen Ohnmacht, gegenüber den eigenen Regimen, gegenüber Israel und seiner Besatzung und gegenüber einem Westen, der arrogant seine Tankstellen am Golf verteidigte, indem er seine Armeen nach Gutdünken in die Region aus- und
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