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Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)

Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)

Titel: Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)
Autoren: Karim El-Gawhary
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Kairo wollten die Ärzte eine Revolte gegen den Krankenhausdirektor organisieren. Einer der Ärzte rief den bekannten Volkswirt und internationalen Gewerkschaftsspezialisten Elhami El-Meghrani an und fragte ihn nach der besten Vorgehensweise, den korrupten Krankenhauschef loszuwerden. „Gründet einen Betriebsrat“, lautete dessen Rat. Der Arzt hatte noch nie von so einer Institution gehört und ließ sich erklären, was ein Betriebsrat sei und wie er funktioniere. „Aber sorgt dafür, dass sich nicht nur die Ärzte, sondern auch das Pflege- und Verwaltungspersonal darin organisieren“, gab El-Meghrani dem Arzt noch mit auf den Weg. Ein paar Tage später erhielt er erneut einen Anruf. „Die Ärzte wollten nicht zusammen mit dem Pflegepersonal und das nicht mit den Verwaltungsbeamten zusammenarbeiten.“ El-Meghranis kurze Antwort: „Dann kann euch keiner helfen.“ Es dauerte nicht lange, und die ägyptischen Medien berichteten von einem Zusammenschluss aller Mitarbeiter des Krankenhauses. Vertreter des Gremiums wurden im Gesundheitsministerium vorstellig. Der ungeliebte, korrupte Krankenhausdirektor wurde abgesetzt und das Gremium setzte sich schließlich auch gegen das Ministerium durch. Denn auch gegen den vom Ministerium bestellten Direktor revoltierte der neue Betriebsrat und führte ein, dass der Chef des staatlichen Krankenhauses aus den eigenen Reihen in geheimer und freier Wahl bestimmt werden müsse.
    Es sind solche Veränderungen, die am Ende wesentlich mehr Menschen für den Wandel mobilisiert haben, als jemals auf dem Tahrir-Platz waren.
    Nicht nur in den staatlichen Institutionen begannen sich jene zu Wort zu melden, die in den Mubarak-Jahren immer in der zweiten und dritten Reihe geblieben waren, während eine korrupte Mafia der Regierungspartei die entscheidenden Stellen besetzte. Ein anderes Beispiel von Selbstreinigung spielte sich an der Fakultät für Geisteswissenschaften an der Kairoer Universität ab. Hier waren die Dekane bisher immer von oben bestimmt worden. Schon kurz nach dem Rücktritt Mubaraks begann das Lehrpersonal eine Kampagne mit der Forderung, dass die Fakultätsführung in Zukunft gewählt werden solle. Der bisherige Dekan lehnte das strikt ab. Daraufhin startete das Lehrpersonal eine schriftliche Umfrage unter den Kollegen, ob diese zustimmten, dass die Fakultätsführung gewählt werden solle. Anfang Juni kam es dann zu einer Versammlung, auf der das Ergebnis vorgestellt werden sollte. Die Versammlung wurde flugs in eine Wahlversammlung umfunktioniert. Sieben Professoren kandidierten spontan. Der alte Dekan versuchte das Ganze noch abzuwenden, in dem er erklärte, dass mindestens die Hälfte des Lehrpersonals für eine Wahl anwesend sein müsse. Eine Zählung ergab, dass 316 von 376 Professoren und Assistenten anwesend waren.
    Die erste gewählte Fakultätsführung ist 40 Jahre jung und eine Frau. Die Professorin für Englische Literatur, Randa Abou Bakr, ist eine erklärte Revolutionärin, die sich vor allem durch ihre Kampagne gegen die Einflussnahme des Sicherheitsapparates auf akademische Angelegenheiten einen Namen gemacht hatte. Sie wurde vor allem von den jüngeren Professoren und Assistenten gewählt.
    „Ich konnte es gar nicht glauben, das eigentlich Große war nicht meine Wahl, sondern dass überhaupt ein Dekan demokratisch gewählt wurde. Ich habe jede Stunde von der immer voller werdenden Urne ein Foto gemacht. Denn ich hatte das Gefühl, hier wird Universitätsgeschichte geschrieben“, erzählte mir die sympathische Randa Abou Bakr ein paar Wochen später. Die Selbstreinigung der Institutionen ist für sie ein Schlüssel: „Man kann nicht mit den Leuten des alten Regimes ein neues schaffen. Nur wenn Menschen an den entscheidenden Stellen sitzen, die an die Revolution glauben, wird sie erfolgreich sein“, sagt sie. Aber der Kampf sei nicht einfach und werde sicherlich einige Jahre dauern, schätzt sie realistisch ein.
    Die soziale Frage kann nicht mehr ausgeblendet werden
    Die Demonstrationen vor meinem Büro wollen einfach nicht mehr abreißen. Mal fordern sie, dass das staatliche Fernsehen von Vertretern des alten Regimes gesäubert werden müsse, mal verlangen sie einen besseren Schutz der Kirchen. Doch im Lauf der Zeit veränderte sich die Art der Proteste. Es tauchten immer öfter Menschen mit sozialen Forderungen auf. Etwa die Gruppe ziemlich abgerissen aussehender Demonstranten, die eines Morgens kam und ihre Zelte aufschlug. Wohnungslos hatten sie
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