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Tag des Opritschniks, Der

Tag des Opritschniks, Der

Titel: Tag des Opritschniks, Der
Autoren: Vladimir Sorokin
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den Kopf abzusäbeln.
    Die zarten Witwenzehen kommen mir aus dem Mund gerutscht.
    Bunte Regenbogen schillern vor meinen Augen.
    Ich mache Platz für Posocha. Sein Gemächt mit der aufgenähten Flussperle ähnelt dem Streitkolben des Recken Ilja Muromez.
    Pu-uh … Gut geheizt haben sie bei Iwan Iwanowitsch. Ich trete vor die Tür des Hauses, setze mich auf die Bank. Die Kinder sind schon weggeschafft. Von dem verprügelten und zerschlitzten Stallburschen sind nur ein paar Blutspritzer im Schnee geblieben. Die Strelitzen drängen sich neugierig um das Tor mit dem Gehenkten. Ich hole eine Packung Rodina hervor und rauche. Zwar stehe ich mit diesem vermaledeiten Laster auf Kriegsfuß, rauche höchstens noch sieben Zigaretten am Tag, aber es ganz sein zu lassen schaffe ich nicht. Ich wollte es mir von Vater Paissi wegbeten lassen, er hieß mich einen Bußkanon aufsagen – geholfen hat es nichts … Ein eisiger Windhauch trägt den Rauch davon. Immer noch strahlt die Sonne, gleißt mit dem Schnee um die Wette. Ich mag den Winter. Der Frost reinigt den Kopf, lässt das Blut pulsieren. Zur Winterszeit kommt man in Russland mit Staatsangelegenheiten schneller zu Potte.
    Posocha tritt aus der Haustür: der Mund mit den wulstigen Lippen offenstehend, beinahe sabbernd, die Augen verhangen; der Mann hat Mühe, sein überreiztes puterrotes Gemächt in den Hosenstall zurückzustopfen. Steht da, Beine breit, und betut sich. Dabei rutscht ihm ein Buch unter der Jacke hervor. Ich greife danach, schlage es auf: Heimliche Märchen. Ich lese den Anfang:
     
    Es begab sich zu der Zeit, als es im Heiligen Russland noch keine Messer gab und die Männer das Fleisch mit ihren Schwänzen in Stücke hieben …
     
    Die Schwarte ist vollkommen zerlesen und so schmierig, dass man das Fett von den Seiten tropfen zu sehen meint.
    »Was liest du Schweinigel denn da?«, frage ich und klatsche ihm das Buch gegen die Stirn. »Wenn der Alte das sieht, bist du am längsten Opritschnik gewesen!«
    »Sieh’s mir nach, Komjaga, der Teufel hat mich geritten«, brummt Posocha gleichmütig.
    »Du wandelst auf des Messers Schneide, Dummkopf, weißt du das? Das ist staatsfeindlicher Unflat. Solcher Bücher wegen hat die Kanzlei für Wort und Schrift ihre Säuberung abgekriegt. Hast du es etwa von da mitgehen lassen?«
    »Zu der Zeit bin ich noch gar nicht Opritschnik gewesen. Ich hab’s im Haus von dem Wojewoden neulich stibitzt. Der Satan hat mir einen Rippenstoß gegeben.«
    »Bedenke, wir sind eine Schutzstaffel. Wir haben kühl im Kopf und rein im Herzen zu sein.«
    »Schon klar.« Posocha hebt die Mütze an und kratzt sich gelangweilt sein dunkles Haar.
    »Unser Gossudar duldet keine unzüchtigen Wörter.«
    »Weiß ich doch.«
    »Wenn du es weißt, warum verbrennst du die Schwarte dann nicht?«
    »Ich tu’s, Komjaga, bei Gott, ich tu’s, ich schwör’s dir.« Er schlägt flüchtig ein Kreuz und steckt das Buch ein.
    Nagul und Ochlop kommen heraus. Bevor die Tür sich hinter ihnen schließt, höre ich die Witwe des Edelmanns drinnen stöhnen.
    »Ein hübsches Aas!«, spricht Ochlop, spuckt aus und schiebt sich die Pelzmütze in den Nacken.
    »Sie werden sie hoffentlich nicht totbürsten?«, frage ich und drücke die Zigarette an der Bank aus.
    »Tun sie nicht, ist doch verboten!«, grinst der breitgesichtige Nagul und schnäuzt in ein von liebevoller Hand umhäkeltes weißes Taschentuch.
    Bald darauf erscheint Sjabel. Wie immer nach solchem Kreisverkehr ist er aufgekratzt und gesprächig. Sjabel hat Hochschulbildung, genau wie ich.
    »Russlands Feinde kleinzukriegen macht richtig Spaß!«, brummt er, eine Packung filterlose Rodina hervorziehend. »Wie schon Dschingis Khan gesagt hat: Es gibt kein größeres Vergnügen auf Erden, als Feinde in den Staub zu zwingen, ihre Güter zu verwüsten, ihre Pferde zu reiten und ihre Frauen zu lieben. Ein weiser Mann!«
    Die Finger von Nagul, Ochlop und Sjabel fahren in die Zigarettenpackung. Ich hole mein edles Feuerzeug mit kalter Flamme hervor und gebe ihnen Feuer.
    »Alle springt ihr auf dieses Teufelskraut an. Wisst ihr nicht, dass der ewige Fluch der sieben heiligen Steine auf dem Tabak lastet?«
    »Klar wissen wir das, Komjaga«, lacht Nagul und reckt sich.
    »Ihr schmeichelt dem Satan, Männer. Der Teufel hat die Menschen das Tabakrauchen gelehrt, damit sie ihn beweihräuchern. Jede Zigarette ist Honig um den Bart des Geschwänzten!«
    »Mir hat ein abgefallener Priester gesagt: Wer Tabak raucht, ist
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