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Tag der geschlossenen Tür

Tag der geschlossenen Tür

Titel: Tag der geschlossenen Tür
Autoren: Rocko Schamoni
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    Lieber Sonntag,
    der Chef ist genervt. Wie soll ich es sagen? Er hat mich angeblafft, dass er auf diesen Ton keine Lust mehr hat. Er will das Arbeitsverhältnis mit Dir lösen. Er will Dich feuern. Ausschlag gab der letzte Satz mit dem » festscheißen « . Denk nicht, dass mir dieses Wort nicht gefallen hätte. Aber ihm nun mal nicht. Er fühlt sich von Dir provoziert. Er ist ein potenzieller Kreuzfahrer, er steht auf diese Art zu leben. Wahrscheinlich hast Du die Kündigung gewollt, oder? Ich hatte das Gefühl. Auf jeden Fall will er nichts mehr von Dir wissen. Erschrick also nicht, wenn in den nächsten Tagen die Kündigung im Briefkasten liegt. Du hast den Kampf gewonnen, Breuer hat das gemacht, was Du wolltest.
     
    Ich würde Dich gerne mal wieder sehen. Susanne
     
    Zwei Steine fallen mir vom Herzen. Zum einen will Breuer mich endlich loswerden. Hat schon alles in die Wege geleitet, um eine lebenslängliche unüberbrückbare Distanz zwischen uns aufzubauen. Zum anderen will sie mich um sich haben. Will die ohnehin nicht spürbare Distanz zwischen uns verwischen.
     
    Liebe Susanne,
     
    irgendwie bin ich erleichtert. Ich wollte nie Kolumnist sein. Und nun habe ich einen Grund, es nicht mehr sein zu müssen. Man lässt mich nicht mehr. Das ist schön, und ich bin Breuer dankbar dafür. Meinst Du, ich sollte ihn zum Essen einladen? Ich habe ihm viele Erkenntnisse zu verdanken. Über das, was ich nicht bin. Zwar muss ich mich jetzt nach einem neuen Beruf umsehen, aber davon gibt es ja genug. Es gibt noch so viele Dinge, über die es sich lohnt rauszufinden, dass man sie nicht sein oder tun möchte.
    Und ich würde Dich auch sehr gerne sehen. So bald wie möglich. Wenn Du magst, Samstagabend. Um Mitternacht an der Jugendherberge über den Landungsbrücken. Da hat man ’nen tollen Blick über den Hafen. Kommst Du?
    Sonntag
     
    Die Antwort kommt direkt und ohne Schnörkel.
     
    Ja.

Sicherheit ohne Grenzen
     
    A m nächsten Morgen liegt ein Brief im Briefkasten. Er ist von Doktor Dortmunder. Ich trage das Kuvert fast ehrfürchtig in die Wohnung. Falls ich den Brief nicht öffne, könnte ich das Ergebnis noch länger vor mir herschieben. Nämlich, dass ich absolut gesund wäre. Dass ich absolut nichts haben könnte. Dass ich jeder Entschuldigung beraubt wäre. Dass ich mich hinter nichts mehr verbergen könnte. Vielleicht sollte ich den Brief vernichten? Einfach ins Klo spülen und meine Zweifel hegen, sie pflegen wie kleine Geranien der Angst. Kann ich mir die Demütigung gefallen lassen, dass man mir absolut jeden Grund zum Klagen nimmt?
    Ich öffne den Brief dennoch, ich kann meinem Schicksal nicht entfliehen. Dort steht in krakeliger Altherrenschrift:
     
    Sehr geehrter Herr Michael Sonntag,
    ich darf Ihnen mitteilen, dass Ihr Aidstest negativ ausgefallen ist und dass Ihnen auch sonst nichts fehlt, höchstens ein wenig Sonnenlicht, Bewegung und gesundes Essen. Sie sind ein immer noch junger und gesunder Mann. Mein Rat: Kümmern Sie sich ein wenig mehr um sich, es würde sich lohnen. Das Leben ist ein Geschenk, versuchen Sie das zu verstehen, solange Sie noch im Vollbesitz Ihrer Kräfte sind, genießen Sie dieses Geschenk, es gibt nur eines davon.
    Ich wünsche Ihnen alles Gute –
     
    Doktor Friedrich Dortmunder
     
    Ich hab’s doch gewusst. Er wird mir mit seiner Aufrichtigkeit meine schöne Krankenwürde zerkratzen. Trotzdem rührt mich sein Brief an. Ich weiß, dass er recht hat. Woran liegt es bloß, dass Typen wie ich dieses Geschenk nicht die ganze Zeit auf Samthandschuhen vor sich hertragen können? Sondern dass wir uns darüber lustig machen, es bespucken und verbeulen und zerkratzen, uns die Jahre und Tage und die Stunden rauben, dass wir mit dem Tod kokettieren und mit dem Kranksein angeben, als wäre unser Dasein nichts wert. Dabei ist es doch alles, was wir haben.
    Was ist falsch gelaufen? Die Schraube mit dem Selbstwert ist falsch justiert. Ich spüre ihn nicht, den Selbstwert. Und kann daher auch das Leben nicht achten. Danke, Doktor Dortmunder! Und könnten Sie vielleicht die Schraube mit dem Selbstwert einfach auf null stellen. Wenigstens auf null und nicht auf minus sieben. Danke, das tut gut! Endlich. Was für eine Erleichterung.

Taxi nach Dubai
     
    A ls ich die Augen öffne, blicke ich in zwei schwarze
Löcher. Ich kann sie nicht genau fokussieren, habe aber das Gefühl, dass sie schlecht riechen. Abgestanden und verraucht. Ich drücke den Kopf nach hinten ins Kissen, um die
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