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Tag der geschlossenen Tür

Tag der geschlossenen Tür

Titel: Tag der geschlossenen Tür
Autoren: Rocko Schamoni
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dort ist das Verbrennen viel billiger. Wir bringen die Penner nach Rumänien und lassen sie dort verbrennen. Und das finanziert uns der Staat. Beerdigen kann man sie dort auch. Oder man kann sie dort ins Meer schmeißen, in der Nähe von Odessa. Ist schön da. Stell dir vor: Alle deutschen Penner liegen bei Odessa im Meer.«
    »Die Idee klingt ganz nach dir, Nowak. Damit könnte man sogar Kinder erziehen: Wenn du in der Schule nicht ordentlich lernst, landest du später noch in Odessa!«
    »In Odessa?«
    Dumm fragend, blickt er mich an.
    Ich habe ihn scheinbar aus der Spur gebracht. Ich bohre nach: »Nowak, was hab ich dabei zu tun?«
    »Ich kümmere mich um die Organisation, und du übernimmst den Transport. Ja? Abgemacht?«
    »Wie immer, oder?«
    »Mein Freund – abgemacht? Sag schon. Hand drauf?«
    »Na klar, Nowak, abgemacht. Wann geht’s denn los?«
    »Bald, mein Freund, ich muss nur die Formalitäten erledigen, lass mich alles vorbereiten.«
    »Ist gut. Soll ich dir einen Arzt bringen?«
    »Einen Arzt? Was für eine Frage. Ein Bier kannst du mir bringen.«
    Ich gehe in die Küche, finde im Kühlschrank eine Dose Cola und reiche sie ihm.
    »Danke, mein Freund. Und jetzt lass mich bitte arbeiten, ich hab noch viel zu erledigen.«
    »Is gut, Nowak, nur eine Frage – was hast du denn mit allen anderen dabei vor. Du sagtest doch, du wartest auf alle.«
    »Die können auch mitmachen. Alle können mitmachen bei mir. Alle.«
    »Gut, Nowak, ich höre dann ja von dir, oder?«
    »Hören ist gut … Jahahaha … hören ist gut …«
    Vielleicht ist er ja endgültig irre geworden? Vielleicht ist das ein Delirium tremens. Ich werde ihm einen Pflegedienst nach Hause schicken müssen. Oder jeden Tag den Pizzadienst mit ’ner Tüte Holsten. Er würde einfach liegen bleiben und seine Speisung als von Gott gegeben hinnehmen. Ich wäre der stille Versorger eines ausklingenden Lebens am Ende eines psychischen Maulwurfschachtes. Was würde es bringen, ihn zu reanimieren und in ein Pflegeheim zu stecken? Jetzt lebt er auf eigentümliche Weise selbstbestimmt in seiner Traumzeit mit seinen vier ewigen Besuchern. Warum sollte ich zulassen, dass die Behördensoldaten, die Putzerfische der Bürokratie und die Pflegerfurien über ihn herfallen? Die doch alle nur davon leben sicherzustellen, dass er bloß am Leben bleibt. An beiden Enden der Versorgungsachse das gleiche Elend. Den Versorgern geht es letztendlich nicht besser als den Versorgten, sie alle warten nur, sie erwarten und verhindern. Den Tod. Ich entscheide mich also für die Variante mit dem Pizzadienst. Bevor ich endgültig gehe, schleiche ich noch einmal zurück in Nowaks Zimmer und lege ihm die leicht geöffnete Schachtel mit Totelinchen neben das Bett. Die wird er als Führer und Lotsin beim Transfer gut gebrauchen können. Mit mir redet sie ohnehin nicht mehr.

Doktor Dortmunder
     
    I ch werde mich endlich einem Aidstest unterziehen. Es ist an der Zeit, mich den Fakten zu stellen. Irgendwo in meinem Hinterstübchen nagt die Ungewissheit an mir. Vor allem die Tatsache, dass ich mich in den letzten Tagen auf ungewohnte Weise schlapp fühle, dass ich kaum aus dem Bett komme, dass meine Augen tiefer in den Höhlen liegen als gewohnt. All das hält mich dazu an, mir Gewissheit zu verschaffen. Eigentlich geht es mir schon lange nicht mehr richtig gut, seit Wochen, vielleicht seit Monaten, wenn ich recht darüber nachdenke. Dieses lähmende Phlegma, vielleicht ist es der Krankheit geschuldet. In meinem Alter sprühen andere Männer vor Energie, sind auf dem Höhepunkt ihrer Fähigkeiten, an einem Punkt, an dem sich Lebenserfahrung und vitale Kräfte im Einklang miteinander befinden. An diesem Punkt haben andere Männer ganze Völker unterjocht, ich aber schaffe es nicht mal, mich selber aus dem Bett zu schmeißen. Die Praxis Schinkel & Bock kann ich leider aufgrund meines Hausverbots nicht mehr besuchen. Ein großer Verlust für einen professionellen Kranken wie mich.
    Ich beschließe, Doktor Dortmunder zu konsultieren, meinen ehemaligen Hausarzt, der seine Praxis in der Innenstadt hat, eigentlich zu alt ist, um noch zu praktizieren, aber dennoch weiter in fremden Wunden herumfuhrwerkt. Da er keine Sekretärin mehr bezahlen kann, lohnt es auch nicht, bei ihm anzurufen. Ich fahre also direkt zu seiner Praxis. Endlich, nach Jahren, wieder einmal bei Doktor Dortmunder. Ich steige die steilen Stufen zu seiner Praxis im sechsten Stock hinauf, es gibt keinen Fahrstuhl. Hier
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