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Tabu: Thriller

Tabu: Thriller

Titel: Tabu: Thriller
Autoren: Tom Egeland
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Interview gesehen, bei dem der Interview-Partner hinter dem Journalisten steht?«
    Er lacht leise. Vorsichtig lockert er die Klammer um ihre Taille. Den Revolver auf ihren Kopf gerichtet, bewegt er sich langsam um sie herum.
    »Nicht so weit«, sagt sie. »Der Wasserfall muss im Hintergrund sein. Am besten zwischen uns beiden.«
    Du meine Güte, an was sie alles dachte.
    »Wehe, du heckst was aus!«
    »Wer von uns sitzt am längeren Hebel?«
    »Du hast am meisten zu gewinnen.«
    »Und am meisten zu verlieren!«
    »Das kann ich nicht beurteilen.«
    »Sind Sie bereit?«
    »Ja!«
    »Bereit, Roffern?«
    Die Hand hinter dem Baum winkt.
    »Okay«, sagt sie. »Dann fangen wir an!«
    Sie dreht sich in Richtung Kamera. Das wird rund um den Globus ausgestrahlt, denkt sie unbeteiligt. Selbst wenn ich sterbe – erst recht , wenn ich sterbe! Diese Bilder werden in jeder Nachrichtensendung im abgelegensten Kaff der Welt zu sehen sein.
    Sie schaut in die ferne Kameralinse.
    »Dieser Mann«, sagt sie mit zitternder Stimme, die wie die eines kleinen, ängstlichen Mädchens klingt. »Dieser Mann hat in den letzten zwei Monaten drei Frauen getötet«, sagt sie, und ihre Stimme knickt ein klein wenig weg, sie räuspert sich und holt tief Luft, »und die Frage, die die meisten Zuschauer sich stellen, lautet: Warum? «.
     
    Warum?
    Er wisse es nicht, sagt er. Und das ist nicht gelogen.
    Sie fragt ihn, ob er seine Taten bereut.
    Reue, sagt er, ist nichts als verzögertes Gewissen.
    Ob er kein Gewissen habe?, fragt sie.
    Nein, sagt er, er habe kein Gewissen.
    Ob er je an die Opfer gedacht habe?, fragt sie.
    O ja, das habe er. Jedes Mal.
    Und das mache ihm nichts aus?, fragt sie.
    Nein, sagt er, das mache ihm nichts aus. Wir müssen alle sterben. Früher oder später.
    Aber mein Gott, warum?, fragt sie erneut.
    Vielleicht, weil er keine Wahl gehabt habe, sagt er. Das klingt unsinnig, er hört es selbst, er hat keine Antwort darauf, und das scheint durch.
    Was ist mit den Angehörigen?, fragt sie. Den Eltern? Geschwistern? Partnern?
    Was soll mit denen sein?, entgegnet er provozierend.
    Ob er denen vielleicht etwas sagen wolle?
    Was er ihnen denn sagen solle?
    Sie sind wahnsinnig, sagt sie.
    Eine interessante Frage, erwidert er.
    Das ist keine Frage.
    Er fängt an zu lachen.
    Und wenn er heute nicht aufgespürt worden wäre?
    Hätte er weitergemacht. Bis sie ihn irgendwann gefasst hätten.
    Und jetzt?
    Jetzt ist Schluss, sagt er.
    Ob er vorhat, sie umzubringen?, fragt sie.
     
    Er sieht sie an. Keiner von beiden sagt etwas. Er versucht, ihr etwas mit dem Blick zu erklären. Aber sie versteht es nicht.
    Er zwinkert ihr zu. Seine Lippen bewegen sich. Sein Lächeln ist kokett, ironisch.
    Sie sagt nichts.
    Er sieht sie an.
    Die Hand, in der er den Revolver hält, zittert. Er richtet ihn auf ihren Kopf. Sie verkrampft sich, und er senkt ihn wieder.
    »Lassen Sie die Waffe fallen!«, ruft eine scharfe Stimme.
    Er reagiert nicht.
    Jetzt erschießt er mich, denkt sie.
    Sie hebt den Blick zum Himmel. Sieht einen Vogel, eine Wolke.
    Sie kneift die Augen zu und denkt an Azuria. Den Strand, den Vulkan, die Palmen.
    Ihre Hand schließt sich fester um das Mikrofon.
    Gleich schießt er, denkt sie und sieht ihn an.
    Seine Augen sind erstaunlich ruhig. Furchtlos. Fast zärtlich.
    Er lächelt sie an.
    Er wird mich nicht umbringen, denkt sie erleichtert und macht einen Schritt von ihm weg. Er mag mich. Er will mir nichts tun!
    Sie lächelt zurück.
    Da schießt er.
     
    Der Schuss trifft sie wie ein Hammerschlag. Es reißt sie herum, sie taumelt nach hinten. Gleichzeitig knallt es oben bei den Bäumen viermal. Vier Schüsse, die so dicht aufeinander folgen, dass es sich wie eine Explosion anhört. Die Schüsse schlagen mit solcher Wucht in seinen Körper ein, dass er nach hinten gegen das Geländer geschleudert wird und darüberkippt. Eine Zehntelsekunde lang sieht es so aus, als würde er auf der Geländerkante liegen und balancieren. Er sieht sie an. Dann fällt er. Ohne einen Laut stürzt er in die Schlucht und verschwindet aus ihrem Blickfeld. Er ist tot, denkt sie. Mein Gott, er hat auf mich geschossen! Sie schnappt nach Luft und macht einen Schritt nach hinten. Der Schmerz ist bohrend und schneidend. Ihre Schulter brennt. Wie im Reflex dreht sie sich zu Roffern um, der mit einigen Polizisten zu ihr gerannt kommt. Er hält immer noch die Kamera auf der Schulter. Das rote Lämpchen leuchtet. Er hat tatsächlich auf mich geschossen!, denkt sie ungläubig.
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