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Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition)

Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition)

Titel: Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Seelenangst mächtig genug war, ihre physischen Schmerzen für den Augenblick abzuschwächen und zu beherrschen. Ihre Magd hatte gut wiederholen, daß ihre Aengste eingebildet seien; es sah nicht so aus, als ob sie sie verstände. Sie blieb in ihrem Zimmer im Ofenwinkel und lieh allen Geräuschen draußen ihr Ohr. In ihrem von Sekunde zu Sekunde wachsenden Schrecken hatte sie den Knecht in der Absicht aufstehen lassen, ihm einen Befehl zu geben, den sie dann nicht erteilte. Die arme Frau fiel von einer fieberhaften Aufregung in die andere. Sie schaute durch die Fenster, öffnete sie trotz der Kälte, ging hinunter, machte die Hoftür auf, spähte in die Weite, lauschte ...
    »Nichts ... immer nichts!« sagte sie. Verzweifelt kam sie wieder herauf. Ein Viertel nach Mitternacht ungefähr schrie sie:
    »Er ist da; ich höre sein Pferd! ....«
    Vom Knechte gefolgt, ging sie hinunter, der Knecht schickte sich an, das Tor zu öffnen.
    »Es ist seltsam,« sagte sie, »er kommt durch die Wälder von Conches zurück!«
    Dann blieb sie wie von Entsetzen geschlagen, unbeweglich, ohne Stimme.
    Der Knecht teilte ihr Entsetzen; denn der wütende Galopp des Pferdes und das Zusammenschlagen der leeren Steigbügel war etwas Unheimliches. Dazu kam das bedeutsame Wiehern, das Pferde ausstoßen, wenn sie allein sind. Bald, nur zu bald für die unglückliche Frau erschien das Pferd schnaubend und schweißbedeckt am Gitter, doch allein. Es hatte seine Zügel, in die es sich wahrscheinlich verwickelt hatte, zerrissen.
    Mit verstörter Miene sah Olympe den Knecht das Gatter öffnen; sie erblickte das Pferd, und ohne ein Wort zu sagen, begann sie wie eine Wahnsinnige nach dem Schlosse zu laufen. Dort angelangt, fiel sie unter des Generals Fenster zu Boden und schrie:
    »Gnädiger Herr, sie haben ihn ermordet!«
    Dieser Schrei war so schrecklich, daß er den Grafen aufweckte. Er läutete, brachte das ganze Haus auf die Beine, und Madame Michauds Seufzer, die, auf der Erde liegend, ein totes Kind zur Welt brachte, zogen den General und seine Leute herbei. Man hob die arme sterbende Frau auf; sie hauchte ihr Leben aus, indem sie zu dem General sagte:
    »Sie haben ihn getötet!«
    »Joseph,« schrie der Graf seinem Kammerdiener zu, »holen Sie schnell den Arzt! Vielleicht ist noch Rettung möglich ... Nein, bitten Sie vielmehr den Herrn Pfarrer zu kommen; denn die arme Frau ist wohl tot und ihr Kind auch ... Mein Gott! Mein Gott! Welch ein Glück, daß meine Frau nicht da ist! ... Und Sie,« sagte er zum Gärtner, »sehen Sie nach, was geschehen ist!«
    »Es ist geschehen,« erwiderte der Knecht aus dem Pavillon, »daß Monsieur Michauds Pferd ganz allein zurückgekommen ist, mit zerrissenen Zügeln, blutigen Beinen ... Eine Blutspur ist auch auf dem Sattel zu sehen, wie von einer strömenden Wunde.«
    »Was läßt sich in der Nacht tun?« fragte der Graf. »Weckt Groison auf, sucht die Wächter, sattelt die Pferde, wir wollen die Gegend absuchen! ...«
    Mit dämmerndem Tage durchforschten acht Personen, der Graf, Groison, die drei Wächter und zwei Gendarmen, die mit dem Unteroffizier aus Soulanges gekommen waren, das Land. Um Mittag fand man schließlich des Hauptwächters Leichnam in einem Gehölz zwischen der Hauptstraße und dem Wege nach Ville-aux-Fayes, am Rande des Parks von Les Aigues, fünfhundert Schritte von dem Conchestor.
    Die beiden Gendarmen ritten fort, einer nach Ville-aux-Fayes, um den Staatsanwalt zu holen, der andere nach Soulanges zum Friedensrichter. Unterdessen nahm der General mit Hilfe des Unteroffiziers ein Protokoll auf. Man fand auf der Straße in der Höhe des zweiten Pavillons den Hufeindruck eines sich aufbäumenden und die kräftigen Spuren eines erschreckten, galoppierenden Pferdes, die bis zum ersten Waldpfade unterhalb der Hecke führten. Als das Pferd führerlos war, hatte es diesen Weg eingeschlagen. Michauds Hut wurde auf diesem Pfade gefunden. Um in seinen Stall zurückzukommen, hatte das Pferd den kürzesten Weg genommen. Michaud hatte eine Kugel im Rücken sitzen, die Wirbelsäule war zertrümmert.
    Groison und der Unteroffizier studierten mit bemerkenswertem Scharfsinn das Terrain um den Hufeindruck herum, den »Schauplatz des Verbrechens«, wie man im Gerichtsstil sagt, konnten aber keine Indizien entdecken. Die Erde war zu hart gefroren, als daß man die Fußspur dessen, der Michaud getötet hatte, hätte finden können; nur die Papierhülse einer Patrone fanden sie. Als der Staatsanwalt, der
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