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Sydney Bridge Upside Down

Sydney Bridge Upside Down

Titel: Sydney Bridge Upside Down
Autoren: David Ballantyne
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sag jetzt nichts über Lehrer«, sagte er bitter. »Nicht nach diesem Brief.« Er wedelte mit dem Blatt.
    »Na gut, Papa«, sagte ich.
    »Und das mit Bonnie Brae kannst du auch vergessen«, sagte er. Noch einmal wedelte er mit dem Brief. »Sie hat sich längst gegen Bonnie Brae entschieden. Und gegen Calliope Bay.« Eindringlich sah er mich an, er bemerkte meine Verwirrung und flüsterte: »Sie kommt nicht zurück, Harry. Sie will in der Stadt bleiben, bei Mr Dalloway. Sie hat uns verlassen, Harry.«
    »Das kann sie doch nicht!«, sagte ich. »Das darf sie –«
    »Es ist ihre Entscheidung«, sagte er.
    »Und was ist mit mir?«, fragte ich. »Und mit Cal?«
    »Ihre eigenen Kinder sind ihr wohl nicht so wichtig wie Mr Dalloway«, sagte er.
    »Das kann sie doch nicht tun!«, schrie ich.
    »Sie hat sich so entschieden«, sagte Papa, »Sie kommt nicht wieder.«
    »Aber sie muss!«, schrie ich. »Was ist denn mit Cal?«
    »Sie hat sich so entschieden«, sagte er traurig.
    »Ich hasse Mr Dalloway!«
    Er beugte sich vor und legte mir die Hand auf die Schulter: »Weine jetzt nicht, sie ist die Tränen nicht wert.«
    »Ich weine nicht«, schrie ich und wischte mir die verdammten Tränen von der Wange.

15
    Langsam lief ich die kurvige, staubige Straße hinab, die durch eine bergige, zerfurchte Landschaft bis nach Bonnie Brae führte, und über Bonnie Brae hinaus, wenn man den Rand der Welt verlassen, wenn man die Flucht ergreifen wollte.
    Ein sonniger Vormittag, Caroline war noch im Bett. Cal war in der Schule, Papa bei der Arbeit. Eines Tages würde ich sie alle wiedersehen.
    Ich beeilte mich nicht sonderlich. Früher oder später, das wusste ich, würde einer von Bill Dobsons Lastwagen vorbeikommen und mich mitnehmen. Bill Dobsons Lastwagen fuhren jeden Morgen ein paarmal hier vorbei, sie waren voll beladen mit dem Schutt, der einst unsere Fabrik gewesen war. Ich wusste nicht, wie weit sie mit dem Schutt fuhren, auf jeden Fall lag ihr Ziel weit hinter dem Laden. Ich hatte mir vorgenommen, es am Nachmittag bis Bonnie Brae zu schaffen, vielleicht nahm mich jemand ein Stück weiter mit. Entscheidend war, dass ich möglichst weit weg war; wenn Papa von der Arbeit nach Hause kam, musste ich möglichst weit weg sein. Cal und Caroline bekamen wahrscheinlich überhaupt nichts mit. Caroline schlief oder döste eigentlich den ganzen Tag, abends war sie immer bis spät mit Buster unterwegs. Cal war so unglücklich, seit Papa ihm erklärt hatte, was mit Mutter war, dass er kaum noch den Mund aufmachte. Es war ihm egal, was ich anstellte und wohin ich ging. Aber Papa, dem war es nicht egal. Doch ihm würden alle Anhaltspunkte fehlen. Selbst wenn Cal ihm sagen würde, dass ich nicht in der Schule war, würde es noch einige Stunden dauern, bis ihm aufging, dass ich abgehauen war. Er müsste erst alle meine Verstecke in Calliope Bay absuchen, erst dann würde er verstehen, dass ich auf der Flucht war.
    Hätte ich einen Zettel hinterlassen sollen? Nein, das würde ihn nur schneller auf meine Spur bringen. Morgen, vielleicht übermorgen, wollte ich ihm einen Brief schreiben, um ihm zu erklären, warum ich abgehauen war, warum ich sein Geld geklaut hatte. Dass er lange, sehr lange nichts von mir hören würde.
    Ich sah ihn vor mir, wie er dastehen würde, mit meinem Brief in der Hand. Es machte mich unendlich traurig. Er würde erbärmlich aussehen, jämmerlich wie in den Tagen, nachdem er den Brief von Mutter erhalten hatte. Es war ihr letzter – jeden Tag schrieb er ihr, bis er verstand, dass sie mit uns abgeschlossen hatte. Vollständig. Sie meldete sich einfach nicht mehr. Da hatte sich seine Trauer in Wut verwandelt, und aus der Wut wurde dumpfe Niedergeschlagenheit. Seine Miene blieb unverändert, sein Blick war gleichbleibend finster. Wenn ich nun schuld daran wäre, dass er wieder in seine alte Trauer zurückfiel … Wäre er nur böse und gemein zu mir gewesen, hätte ich nur gelernt, ihn zu hassen! Es wäre so viel leichter gewesen, fortzulaufen, ich hätte mir keine Gedanken darüber machen müssen, wie traurig er sein würde. Doch es ging nicht anders, in Calliope Bay konnte ich unmöglich bleiben. Der Sommer war vorbei, nichts war wie früher. Mutter vergnügte sich mit Mr Dalloway in der Stadt. Ich musste fort. Ich konnte Papa in seinem Schmerz nicht helfen. Vielleicht würde er später einmal verstehen, dass ich keine Wahl hatte.
    Ich ging und pfiff ein Liedchen, ich war voller Hoffnung. Der Spaziergang tat mir gut.
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