Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Suter, Martin

Suter, Martin

Titel: Suter, Martin
Autoren: Allmen und die Libellen
Vom Netzwerk:
lauteste
Geräusch im Wageninnern war das kurze Stottern eines der Scheibenwischergummis
bei jedem zweiten Mal, wenn er sich zurückbewegte.
    »Bekommt man diese Gummis noch?«, erkundigte sich Allmen,
damit die Fahrt nicht ganz stumm verlief.
    »Nein. Ich muss sie selbst zuschneiden. Und wenn der Gummi
zu hart oder der Streifen zu schmal ist, passiert das. Stört es Sie?«
    »Überhaupt nicht«, versicherte Allmen.
    »Mich schon. Es macht mich halb verrückt.« Herr Arnold
schwieg erschrocken über diese Offenbarung seines Innersten.
    Allmen bekräftigte noch zweimal, dass es ihm, dem
Fahrgast, wirklich nichts ausmache, die Frage sei rein technischer Natur
gewesen.
    Kurz darauf hielt der Wagen vor der Goldenbar. Allmen
unterschrieb die Quittung für die Fahrt, gab Arnold ein gutes Trinkgeld und
ließ sich unter dessen Schirm die paar Schritte über das Trottoir bis zum
Eingang begleiten.
     
    Die Goldenbar war in den sechziger Jahren getreu ihrem
Namenskonzept mit viel Gold eingerichtet worden. Die Flaschenregale ruhten auf
Goldbarren, Bar und Hocker waren goldbeschlagen, Spiegel und Bilder
goldgerahmt, Aschenbecher und Snackschalen vergoldet, Decke und Wände mit
Goldfolie tapeziert. Der Rauch und die Jahre hatten diesen goldenen Überfluss
mattiert und nachgedunkelt und dem Lokal die Gediegenheit verliehen, die es
heute besaß.
    Allmen war ein Habitue in der Goldenbar. Der Barmann, ein
in die Jahre gekommener Spanier mit über vierzig Jahren internationaler
Barerfahrung und einer Galerie ebenfalls nachgedunkelter, bei
Barmixer-Wettbewerben gewonnener Messingplaketten, hatte gleich nach Allmens
Erscheinen begonnen, Tequila, Cointreau und Zitronensaft in einen zerbeulten
Shaker mit Eiswürfeln abzumessen.
    Allmen trank vor der Oper immer zwei Margaritas. Sie
brachten ihn in eine erwartungsvolle, glückliche und nachsichtige Stimmung. Er
setzte sich auf einen Hocker und nickte dem Barkeeper zu. Der nickte lächelnd
zurück, legte eine Serviette um den Shaker, um die Hände vor der Kälte zu
schützen, und begann zu schütteln. In seinem undurchschaubaren Rhythmus, der
das halbe Geheimnis seiner legendären Cocktails war.
    Die Bar war ziemlich voll. After-Work-Publikum in
Business-Kostümen und Anzügen und erste Premierenbesucher, von denen Allmen
ein paar vom Sehen kannte und denen er zunickte. Sein Premierenuntermieter,
Serge Lauber, war nicht zu sehen. Normalerweise trafen sie sich hier und
gingen dann gemeinsam zur Oper hinüber. Aber es kam vor, dass er sich
verspätete und sie sich erst auf ihren Plätzen trafen.
    Der altgediente Barpianist spielte Where and
When, wie immer, wenn Allmen in der Goldenbar war. Und wie immer
schickte ihm Allmen ein Glas vom Hauswein, mit welchem ihm der alte Mann, ohne
sein Spiel zu unterbrechen, verschwörerisch zuprostete.
    Der Barkeeper brachte frische lauwarme Mandeln und eine
zweite Margarita. Allmen behielt die Tür im Auge. Die Gäste, die jetzt
hereinkamen, waren etwas außer Atem und ihre Schirme triefend nass. Allmen
ärgerte sich, dass er Herrn Arnold nicht wie früher hatte warten lassen. Scheiß
Sparsamkeit.
    Er hatte schon die Rechnung signiert und das Trinkgeld für
den Barkeeper auf das vergoldete Tablett gelegt, als eine Frau die Bar betrat.
Sie trug einen wadenlangen grünen Nerz, einen platinblonden Pagenschnitt,
kirschroten Lippenstift und eine schwarze Sonnenbrille, die sie jetzt in der
schummerigen Bar etwas anhob und sich suchend umblickte. Plötzlich lächelte
sie und ging auf Allmen zu.
    »Sie müssen John sein«, sagte sie und gab ihm die Hand.
»Ich bin Joelle. Die meisten sagen Jojo.«
    Allmen war vom Barhocker gerutscht und hielt die kräftige
grünbehandschuhte Hand in der seinen. Er war sich sicher, er hatte die Frau
noch nie gesehen.
    »Kommen Sie, wir müssen gehen«, sagte Joelle.
    Allmen musste sie ratlos angesehen haben, denn jetzt
lachte sie auf. »Verzeihen Sie, ich habe von Serge Ihre Karte bekommen, er kann
heute nicht.«
    Allmen holte seinen Mantel und folgte der Frau. Vor der
Bar wurde sie von einem jungen Mann mit einem Schirm erwartet. Er begleitete
zuerst sie und dann ihn durch den jetzt strömenden Regen zu einer
Mercedes-Limousine, die mit eingeschalteter Warnblinkanlage halb auf dem
Trottoir geparkt war.
    Während der kurzen Fahrt bis zur Oper trank Joelle einen
Whisky on the rocks aus dem Kühlfach, das in die Fondlehne eingelassen war, und
rauchte eine Zigarette. Beides hatte Allmen abgelehnt. Die Zeit reichte ihr
auch, ihm zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher