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Suter, Martin

Suter, Martin

Titel: Suter, Martin
Autoren: Allmen und die Libellen
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- er war süchtig nach Geheimnissen.
    Diese Eigenschaft hatte ihn nicht nur zum Dauerleser
gemacht. Ihr hatte er auch seine Klatschsucht zu verdanken. Dabei handelte es
sich allerdings um eine passive Klatschsucht. Er hörte gerne Klatsch, aber nie
wäre er auf die Idee gekommen, selber welchen zu verbreiten. Allmen war das
Paradoxon der diskreten Klatschtante.
    Aus den vielen kleinen, an den Bücherwänden angebrachten
Lautsprechern klang Puccinis La Boheme in einer
Aufnahme mit der Callas und Di Stefano. Die Hightech-Hi-Fi-Anlage stand auf Allmens
Liste der Lebensnotwendigkeiten, welche er in letzter Zeit immer öfter
zusammenstreichen musste. Er glaubte nicht, dass sie bei einem Konkursbeamten
Gnade finden würde, aber so weit würde er es nicht kommen lassen, das hatte er
sich fest vorgenommen.
    An mehreren Stellen hatte Allmen meterbreite Abstände
zwischen den Bücherwänden gelassen, damit auch seitlich etwas Licht eindringen
konnte und der Blick in den schönen Garten nicht ganz verstellt war. Diese
Lücken konnte man mit Vorhängen verschließen, was er jetzt tat. Der Nachmittag
war noch abweisender geworden, Wind war aufgekommen, zerrte an den Blättern
der Platanen und trieb den Regen gegen die Glasfassade. Wenn das Wetter sich
nicht besserte, würde er Carlos morgen bitten, im Schwedenofen Feuer zu machen.
    In einer seltenen Anwandlung von Selbständigkeit ging er
in die Küche und machte sich höchstpersönlich eine Tasse Tee.
     
    Das Opernpremierenabonnement war ein weiteres Kernstück
auf Allmens Liste der Lebensnotwendigkeiten. Erst wer sich das nicht mehr
leisten kann, ist wirklich pleite.
    Schon zu Lebzeiten seines Vaters besaß er zwei der
begehrtesten Plätze, Parkett Mitte, fünfte Reihe. Sein Vater hatte damals die
Investition von jährlich über viertausend Franken klaglos geleistet, da sie ja
unter die Bildungsausgaben für seinen Sohn fielen. Er hatte seinen Sohn auch
einmal zu einer Zauberflöte-Premiere begleitet,
seinen Platz allerdings wegen eines hartnäckigen Hustenanfalls kurz nach der
Ouvertüre verlassen müssen.
    Inzwischen kosteten die beiden Plätze das Doppelte und
lauteten noch immer auf den Namen Johann Friedrich v. Allmen. Allerdings hatte
er seit Beginn dieser Saison den zweiten Platz untervermietet. Einer seiner
vielen weitläufigen Bekannten, Serge Lauber, ein Investmentbanker, hatte ihm
sechstausend Franken bar auf die Hand geboten. Das war ein Angebot, das Allmen
in seiner Situation schlecht ausschlagen konnte, es finanzierte ihm die Hälfte
seines eigenen Abonnements. Dessen Zahlung er übrigens seit Saisonbeginn
schuldete, ohne dass man ihn bis jetzt gemahnt hätte. Mit so langjährigen
Abonnenten und großzügigen ehemaligen Sponsoren zeigte man Geduld.
    Am Abend dieses nassen Herbsttages war Premiere von
Puccinis Madame Butterfly. Allmen freute sich auf den Opernabend,
den er wie immer mit einem Aperitif in der Goldenbar beginnen und mit einem
späten Abendessen von der kleinen Karte im Promenade abrunden würde.
    Er trug einen etwas herbstlichen dunklen Anzug von seinem
seit langem vernachlässigten englischen Schneider und eine nachtblaue kaum
gemusterte Krawatte unter einem navyblauen Kaschmirmantel von dessen ebenfalls
entfremdetem römischem Berufskollegen.
    Herr Arnold nahm ihm zur Begrüßung den Schirm ab und
öffnete die Tür seines 1978er Fleetwood
Cadillacs. Allmen war Stammkunde bei Herrn Arnold. Der besaß zwei Taxis, einen
Mercedes Diesel und ebendiesen schwarzen chromblitzenden Amerikanerschlitten,
den er für Liebhaber wie Allmen aus der Garage holte. Für solche Kunden
arbeitete er auch auf Monatsrechnung. Dass diese in letzter Zeit etwas sehr
unpünktlich bezahlt wurde, führte er auf administrative Gründe zurück. Jemand,
der so wohnt, hat keine Geldsorgen.
    Allmen lehnte sich auf der weinroten Lederbank im Fond des
Fleetwood zurück und genoss die kurze Fahrt vom Villenviertel zum Stadtzentrum.
Herr Arnold, ein kompakter, besonnener Mann in den Sechzigern, gehörte zu den
Taxifahrern, die nur sprechen, wenn sie gefragt werden. Er belästigte seine
Fahrgäste nicht mit seinen politischen, weltanschaulichen oder
verkehrstechnischen Problemen. Das schätzte Allmen fast noch mehr als das
liebevoll gepflegte Interieur dieses flüsternden Riesen.
    Sie glitten langsam über den nass glänzenden Belag aus
Bremslichtern, Scheinwerfern und Straßenlampen. Vor den Schaufenstern eilten
die Schattenrisse der Passanten und ihrer Schirme vorbei. Das
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