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Supernova

Supernova

Titel: Supernova
Autoren: Charles Stross
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einen
Nervengarten mit achtzehn Millionen Synapsen heran (ihre Eltern
mochten nicht einmal daran denken, welche Träume sie denen
womöglich beibrachte). Sie zog Pflanzen groß:
tödliche Nachtschattengewächse, Baldrian, Wolfsmilch,
Schierling – und was sollten sie mit Letzterem anfangen, wenn er
sich zu voller Größe auswuchs? (Niemand wusste es; niemand
weiß so etwas.) In ihrem Zimmer hörte sie bei
geschlossener Tür gern deprimierende Musik. Ihre besorgten
Eltern drängten sie zu den normalen, gesunden
Freizeitaktivitäten an der frischen Luft – zu
Kletterstunden, zum Sonnensegeln, zu Karate –, aber an solchen
Dingen war Wednesday nicht interessiert. Laut Personalausweis
hieß sie Victoria, aber die anderen Teenager nannten sie nur Wednesday. Das gefiel ihr zwar gar nicht, aber noch weniger
mochte sie den Namen, den ihre Eltern ihr gegeben hatten.
    Wednesday war eine Außenseiterin. Und wie es bei
Außenseitern von jeher üblich ist, hatte sie von
frühester Kindheit an einen unsichtbaren Freund. Sie spielten
zusammen, erforschten das Terrain der Spionage. Probierten die
Fahrstühle aus. Tauchten, ausgerüstet mit einer
Sauerstoffmaske, in unbekannte Schächte ein; man konnte ja nie
wissen, was sich auf der anderen Seite eines zugesperrten Schotts
befand. Allerdings hatten die meisten Kinder keine Freunde, die ihnen
mittels der teuren, von den Eltern bezahlten Netzimplantate
antworteten. Und noch viel seltener brachten solche unsichtbaren
Freunde ihnen Dinge wie Geheimschriften, Nachrichtenanalyse,
Beschattungen und Überwachungen mittels Teleskop bei.
Außerdem vergaßen die meisten Kinder ihre unsichtbaren
Freunde irgendwann, wenn sie älter wurden, nicht jedoch
Wednesday. Was daran lag, dass ihr unsichtbarer Freund, anders als
bei den meisten jungen Außenseitern, nicht nur in der Phantasie
existierte.
    Als sie noch jünger gewesen war, hatte sie ihrem Bruder
Jeremy von ihrem Freund erzählt, der Hermann hieß. Aber
Jerm hatte es Mom gesteckt, was eine anstrengende Befragung und
Ausflüge zu den Netztechnikern und danach zum Büro der
Beraterin nach sich gezogen hatte. Als sie gemerkt hatte, was man von
ihr erwartete, hatte sie natürlich alles abgestritten,
allerdings nicht sofort. Hermann hatte ihr gesagt, was sie tun
musste, um deren Argwohn zu beschwichtigen. Wenn du schizophren
bist, kennst du keine Einsamkeit, hatte er mit bissigem Humor
gewitzelt, und das hatte sie geärgert, denn sie wusste ja, dass
Schizophrenie nichts mit einer multiplen Persönlichkeit zu tun
hatte, sondern nur damit, Stimmen im eigenen Kopf zu hören. Als
sie diesen Ausdruck zum ersten Mal gehört hatte, hatte sie sich
Chlorpromazin und Flupenthixol von der Küchenapotheke bestellt
und war tagelang in einem Nebel herumgestolpert, während Hermann
ihr trocken erklärt hatte, wie sie sich damit hätte
vergiften können: Parkinson war eine nicht unbekannte
Nebenwirkung primitiver Neuroleptika. Das Wort hatte sie bis dahin
noch gar nicht gekannt.
    Seit Monaten war jedem klar gewesen, dass irgendwann der Tag der
Evakuierung kommen würde. Schon wenige Wochen nach der
Katastrophe hatten sie nicht nur den Tag, sondern auch die Stunde
gewusst. Eine Woche vor der Stunde Null trafen die ersten Schiffe
ein. Normalerweise lief nur ein Linienschiff im Monat Alt-Neufundland
an und holte sich dort die Zollgenehmigung, um Passagiere und Ladung
zu den örtlichen Kurzstreckenfrachtern zu transportieren, die im
letzten Parsec hin und her pendelten. Aber derzeit waren alle Docks
am Radkranz ausgefahren und die Piers mit Druck geflutet, sodass sie
wie große graue Neunaugen wirkten, die die Eingeweide aus der
Station heraussaugten.
    Vor zwei Wochen waren die noch verkehrenden Binnenfrachter zum
letzten Mal nach Hause zurückgekehrt, um sich für ihren
letzten Flug mit zusätzlichen Tanks auszurüsten. Alles
drängte sich auf der einen Raumstation zusammen,
dreißigtausend Seelen, die oberhalb der Ekliptik eines
düsteren roten Gasriesen dahintrieben, der achtmal so viel Masse
wie der Jupiter besaß. Treibstoff hatten sie genug –
schließlich hatte Alt-Neufundland 4 seinen Handel damit
getrieben. Sechshundert Megatonnen von raffiniertem Methan-Eis
bunkerte in einer Tankfarm, die sich hinter der Hauptachse des
großen Rades über mehrere Kilometer erstreckte. Sie lagen
nahe genug an einer der regulären Handelsrouten zwischen dem
Septagon-System und den Kernwelten, um von den vorbeiziehenden
Handelsschiffen zu profitieren. Nahe genug, um für
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