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Supernova

Supernova

Titel: Supernova
Autoren: Charles Stross
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den
örtlichen Verkehr, der nach Moskau unterwegs war, als
Umschlagplatz zu dienen. Immer noch machten sie Gewinn und waren
autark, und das war auch vor der Katastrophe schon so gewesen. Doch
sie konnten angesichts der näher rückenden Supernova nicht
hier bleiben.
    Das Linienschiff Sikorsky’s Dream legte am Radkranz
an, um V.I.P.s sowie den Gouverneur und seinen Stab an Bord zu
nehmen. Hinter dem Schiff hingen zwei Frachter, die Neu-Dresden in
einer weiteren Geste der Versöhnung geschickt hatte. Sie wirkten
wie Geburtshelferkröten: Übersät mit unförmigen,
an den Ladespeichen befestigten Notquartieren für die
Flüchtlinge, boten sie mit diesen »Zwischendecks«
Platz für Zehntausende von Passagieren. Die Reise zur Umsiedlung
nach Septagon würde drei Wochen dauern, und sie würden
dabei vierzig Lichtjahre durchqueren.
    Selbst Septagon lag unangenehm nah an der Front der Schockwelle,
aber es war das beste Umsiedlungszentrum, das zur Verfügung
stand. Es gab dort genügend Geld, um jeden unterzubringen und
umzuschulen, und eine politische Ordnung, die Einwanderungen aktiv
unterstützte. Das würde den Umsiedlern die Chance bieten,
einen Schlussstrich unter die Katastrophe zu ziehen, den Blick in die
Zukunft zu richten und die dumpfe Verzweiflung und die Wolke der
Trauer abzuschütteln, die sich vor dreieinhalb Jahren über
die Raumstation gesenkt hatte. Als sie damals von der
Auslöschung Moskaus erfahren hatten, waren Selbstmorde die Folge
gewesen, und mehr als einmal hätte es um ein Haar einen
öffentlichen Aufruhr gegeben. Auf jeden Lebenden kamen tausend
Geister, von denen die Station heimgesucht wurde. Es war kein
geeigneter Ort, um ein Kind großzuziehen.
    Dad, Mom und Jeremy hatten sich vor zwei Tagen auf die Long
March begeben und Wednesday mit aufgesetztem Optimismus ins
Schlepptau genommen. Allerdings war diese Fassade brüchig: Auf
dem Familienfoto fehlten einige Personen. Cousine Jane, Onkel Mark,
Großvater und Großmutter würden nicht mitkommen,
zumindest nicht als Menschen aus Fleisch und Blut. Sie waren jetzt
Staub. Der von Gott geschickte Sturm, der in vier Tagen auch an der
Raumstation vorbeiziehen würde, hatte sie zu Asche
verbrannt.
    Genervtes Aufsichtspersonal hatte Wednesday und ihre Familie zu
ihrem Deck geführt und ihnen den Gang, den Abschnitt und die
Zelle gezeigt. Man hatte ihnen eine Familienunterkunft zugeteilt:
vier Schlaf kapseln und ein zwei auf drei Meter großes
Wohnzimmer, ausgestattet mit aufblasbaren Möbeln. Das würde
während der Reise ihr Zuhause sein. Sie sollten in der Kantine
auf dem Rosendeck essen, in den gemeinschaftlichen Waschräumen
auf dem Tulpendeck baden und sich ansonsten glücklich
schätzen, überhaupt noch am Leben zu sein. Im Unterschied
zu Mica und ihrem Mann, Freunden und Nachbarn, die zum ersten Mal
seit fünf Jahren für einen Monat Urlaub auf dem
Heimatplaneten Moskau gemacht hatten, als die Katastrophe sie
erwischte.
    Es hatte nur Stunden gedauert, bis Wednesday sich tödlich
gelangweilt hatte. Ihre Pflanzen waren abgestorben, ihr
neurologischer Garten für die Reise eingefroren, und man hatte
ihnen befohlen, bis nach dem Ablegen auf dem Zwischendeck zu bleiben.
Also hatte sie zur Ablenkung nur auf das geistlose Gebrabbel des
Unterhaltungsnetzes und die beschränkten Medienangebote des
Schiffes zurückgreifen können. Irgendein
schwachköpfiger Schutzgeist aus Neu-Dresden, wo stärkere
Reglements als auf Moskau herrschten, war zu dem Schluss gekommen,
dass interaktive Horrorfilme und -bücher für
Minderjährige nicht geeignet seien, und hatte diesen Teil der
Datenbank der elterlichen Aufsicht anheim gestellt. Wednesdays
Freundinnen und Freunde oder die Menschen, die sie dafür hielt,
befanden sich größtenteils auf anderen Schiffen. Und
selbst Hermann hatte ihr mitgeteilt, er werde nach dem ersten Sprung
des Schiffes nicht mehr mit ihr sprechen können. Es wäre
lustiger gewesen, hätten sie die Reise im Kälteschlaf
hinter sich bringen dürfen, aber diese Einrichtungen der
Raumstation konnten auf keinen Fall mehr als ein paar hundert
Passagiere gleichzeitig versorgen. Also würde Wednesday die
ganze nächste Woche unter Langeweile leiden
müssen…
    Ihr einziger Trost war, dass es für sie eine ganze neue Welt
zu entdecken gab: ein Sternenschiff. Seit ihrem achten Lebensjahr war
sie auf keinem Schiff mehr gewesen, und es juckte sie
unwiderstehlich, das, was sie gelernt hatte, in die Praxis
umzusetzen. Außerdem hatte Hermann ihr gesagt, er
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