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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story
Autoren: Gary Shteyngart
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was der primitive Mensch erschaffen hat! Erkennet sein erstes Streben nach Unsterblichkeit, seine Disziplin, seine Selbstlosigkeit.
    Mein letzter Tag in Rom. Ich trank meinen Macchiato. Ich kaufte ein teures Deodorant, vielleicht im Vorgefühl der Liebe. Ich gönnte mir ein dreistündiges entspanntes Masturbationsnickerchen im unfassbaren Leuchten meiner sonnenbelagerten Wohnung. Und dann, auf einer Party meiner Freundin Fabrizia, begegnete ich Eunice –
    Halt, nein. Das ist nicht ganz richtig. Die Reihenfolge stimmt nicht. Ich lüge dich an, Tagebuch. Ich bin gerade mal auf Seite 12, und schon lüge ich. Vor Fabrizias Party geschah etwas Furchtbares. So furchtbar, dass ich nicht darüber schreiben möchte, denn du sollst doch ein
positives
Tagebuch sein.
    Ich ging zur amerikanischen Botschaft.
    Das war nicht meine Idee gewesen. Sandi, ein Freund von mir, hatte mir Folgendes erzählt: Wer mehr als 250   Tage im Ausland verbringt und sich nicht bei
Welcome Back, Partner
– dem offiziellen Rückkehrprogramm für U S-Bürger – registrieren lässt, kann gleich am New Yorker Flughafen wegen Landesverrat verhaftet und in eine «sichere Beobachtungseinrichtung» im Hinterland gebracht werden, was immer das auch sein mag.
    Sandi weiß wirklich
alles
– er arbeitet in der Modebranche   –, darum hatte ich beschlossen, seinen lebhaft und koffeinbefeuertvorgetragenen Ratschlag zu befolgen und in die Via Veneto zu gehen, wo die Vertretung unseres Landes in einem cremefarbenen Palazzo hinter einem jüngst ausgehobenen Wassergraben residiert. Aber nicht mehr lange, darf ich wohl hinzufügen. Laut Sandi hat das mittellose Außenministerium das ganze Gebäude gerade an StatoilHydro verkauft, die staatliche norwegische Ölgesellschaft, und als ich in der Via Veneto ankam, hatte man die Bäume und Sträucher des gewaltigen Anwesens bereits zu länglichen, agnostischen Formen zurechtgestutzt, wie es den neuen Besitzern halt gefiel. Gepanzerte Umzugslaster umstanden das Gelände, und von innen hörte man den Lärm massenhaften Aktenschredderns.
    Vor der Visaabteilung des Konsulats gab es fast gar keine Warteschlange: Nur ein paar äußerst traurige und abgerissene albanische Gestalten wollten weiterhin in die Staaten auswandern, und diese wenigen wurden noch zusätzlich von einem Poster abgeschreckt, auf dem ein tapferer kleiner Otter mit Sombrero in ein vollgestopftes Schlauchboot zu springen versucht, darüber der Slogan: «Das Boot ist voll, Amigo.»
    In einem improvisierten Sicherheitskäfig saß ein älterer Mann hinter Plexiglas und schrie mir unverständliche Dinge zu, während ich mit meinem Pass vor ihm herumwedelte. Endlich tauchte eine kompetente Filipina auf – unverzichtbar in diesen Breiten – und winkte mich durch einen vollgerümpelten Flur zur Nachbildung eines ausgeblichenen Highschool-Klassenzimmers, das rundum mit dem Werbemotiv des
Welcome Back,
Partner
-Programms ausstaffiert war. Der mexikanische Otter vom «Das Boot ist voll»-Plakat hatte sich amerikanisiert (statt eines Sombreros trug er ein rot-weiß-blaues Tuch um den stark behaarten kleinen Hals) und hockte auf einem dämlich aussehenden Pferd, mit demer auf eine feurig aufgehende, wahrscheinlich asiatische Sonne zugaloppierte.
    Ein halbes Dutzend meiner Mitbürger saß an zerkratzten Schultischen und murmelte leise in ihre Äppäräte. Auf einem freien Stuhl lag eine leblose Kabelschnecke, und auf einem Hinweisschild stand: OHRHÖRER INS OHR STECKEN, DEN MITGEBRACHTEN ÄPPÄRÄT AUF DEN TISCH LEGEN UND ALLE SICHERHEITSEINSTELLUNGEN DEAKTIVIEREN. Ich tat wie geheißen. Eine elektronische Version von John Cougar Mellencamps «Pink Houses»
(«Ain’t that America, somethin’ to see, baby!»)
dröhnte mir ins Ohr, und dann erschien auf dem Display meines Äppäräts eine gepixelte Version des tapferen kleinen Otters, der auf seinem Rücken die Buchstaben ARR schleppte, bevor sie von einem schimmernden Schriftzug überblendet wurden: Amerikanische Restaurationsregierung.
    Der Otter stellte sich auf die Hinterbeine und klopfte sich demonstrativ den Staub vom Fell. «Hi, Partner!», sagte er mit vor karnevalesker Liebenswürdigkeit triefender Stimme. «Ich heiße Jeffrey Otter, und ich
wette
, wir werden Freunde.»
    Ein Gefühl des Verlusts und Alleinseins überwältigte mich. «Hi», sagte ich. «Hi, Jeffrey.»
    «Selber hi!», sagte der Otter. «Ich werde Ihnen jetzt ein paar freundliche Fragen stellen, nur zu statistischen Zwecken. Wenn Sie eine
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