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Süßer Tod

Süßer Tod

Titel: Süßer Tod
Autoren: S Brown
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der Alte Raley von der Baseballkappe und dem bärtigen Gesicht abwärts bis zu den Wanderschuhen. Nach abgeschlossener Inspektion spuckte er einen Strahl Tabaksaft in den Dreck, um seine Meinung über diesen Anblick kundzutun. »Is’ schließlich nicht verboten, im Wald rumzulaufen«, sagte er. »Aber lass bloß die Finger von meinen Fallen.«
    »Es würde die Sache vereinfachen, wenn ich wüsste, wo sie stehen.«
    Die Lippen des Alten verzogen sich zu einem breiten Grinsen, bei dem er tabakfleckige Stummel entblößte, wo früher einmal Zähne gewesen sein mussten. »Kann ich mir vorstellen.« Immer noch keckernd wandte er sich ab. »Die findest du schon, da wette ich drauf.« Noch lange nachdem er im dichten Unterholz verschwunden war, hörte Raley sein meckerndes Lachen.
    Während der folgenden Monate waren sie sich immer wieder zufällig im Wald begegnet. Zumindest waren es für Raley zufällige Begegnungen gewesen. Er nahm an, dass sich der Alte nur zeigte, wenn ihm danach war, und unsichtbar blieb, wenn er keine Lust hatte, seinem neuen Nachbarn einen Gruß zuzugrunzen.
    An einem heißen Nachmittag trafen sie in der Tür des Lebensmittelladens im nächsten Ort aufeinander. Raley wollte gerade hinein, der alte Mann heraus. Sie nickten einander zu. Als Raley
später mit mehreren Einkaufstüten wieder nach draußen kam, sah er den Alten in einem Korbsessel auf der schattigen Veranda vor dem Laden sitzen und sich mit dem Hut Luft zufächeln. Aus einem Impuls heraus zerrte Raley eine gekühlte Bierdose aus dem Sixpack und warf sie dem Alten zu, der sie in einem exzellenten Reflex mit einer Hand auffing.
    Raley lud die Einkäufe auf der Ladefläche des Pick-ups ab und kletterte hinter das Steuer. Der Alte beobachtete mit sichtlichem Misstrauen, wie er den Rückwärtsgang einlegte und aus der Parklücke setzte, aber Raley war aufgefallen, dass er die Dose geöffnet hatte.
    Am nächsten Morgen klopfte jemand an Raleys Hütte. Nachdem er noch nie Besuch bekommen hatte, näherte er sich argwöhnisch der Tür. Vor ihm stand der Alte, in der Hand hielt er eine gesprungene Keramikschüssel mit einem Berg von rohem Fleisch unbekannter Herkunft. Es sah aus wie Aas, das sogar das Jagdhundetrio verschmäht hatte.
    »Für das Bier. Ich mag keine Schulden bei niemand haben.« Raley nahm die Schüssel entgegen, die ihm an die Brust gedrückt wurde. »Danke.« Sein Besucher machte kehrt und stapfte die Stufen hinab. Raley rief ihm nach: »Wie heißen Sie eigentlich?«
    »Wer will das wissen?«
    »Raley Gannon.«
    Der Alte zögerte und brummelte dann: »Delno Pickens.«
    Von jenem Morgen an hatte sich zwischen ihnen eine Art Freundschaft entwickelt, die auf Einsamkeit und dem gemeinsamen Widerwillen beruhte, mit anderen Menschen Kontakt aufzunehmen.
    Alles in allem waren Delnos Besitztümer keine hundert Dollar wert. Ständig schleifte er Sachen nach Hause, die er weiß Gott wo aufgetrieben und für die er keine Verwendung hatte. Seine Hütte stand auf Pfählen, zum Schutz vor Überschwemmungen, wenn der Combahee über die Ufer trat. Doch der Hohlraum unter
dem Boden war mit Sperrmüll vollgestopft, wie um der Hütte ein solideres Fundament zu geben. Das Gelände um die Hütte war ebenfalls mit Schrott übersät, der nie auch nur zentimeterweise bewegt wurde, soweit Raley feststellen konnte. Das Sammeln schien Delno wichtiger zu sein als die Fundstücke selbst.
    Er fuhr einen Pick-up, den Raley insgeheim »Frankenstein« getauft hatte, weil er aus den verschiedensten Einzelteilen bestand, die Delno im Lauf der Zeit zusammengetragen hatte, und hauptsächlich von Draht und Klebeband in Form gehalten wurde. Raley empfand es jedes Mal als Wunder, dass Delno das Gefährt überhaupt in Gang brachte, aber wie Delno sagte: »Es ist nicht schön, aber es bringt mich hin, wo ich hin will.«
    Er aß alles. Wirklich alles. Alles, was er aus dem Wald, aus einer Falle oder aus dem Fluss zerren konnte. Aber was es auch war, er war stets bereit, es mit Raley zu teilen, seit sie Freundschaft geschlossen hatten.
    Überraschenderweise war er sehr belesen und konnte sich fundiert über Themen unterhalten, bei denen man ihm das nie zugetraut hätte. Im Lauf der Zeit begann Raley zu argwöhnen, dass der Hillbilly-Akzent und das dazugehörige Vokabular nur zur Tarnung dienten. Genau wie das Elend, in dem er hauste, waren sie ein Protest gegen sein früheres Leben.
    Aber was das für ein Leben gewesen war, blieb Delnos Geheimnis. Niemals erwähnte er eine
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