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Sündenfall: Roman (German Edition)

Sündenfall: Roman (German Edition)

Titel: Sündenfall: Roman (German Edition)
Autoren: Anya Lipska
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Silbe mit den Fingerknöcheln an das Gitter.
    Der alte Mann hatte – und das kam bei ihm nur selten vor – die Stimme erhoben, was ein Raunen vor dem Beichtstuhl auslöste. Janusz wusste, dass dort draußen eine Horde alter Damen wartete, um ihre eingebildeten Sünden zu beichten. Vielleicht hatte der Priester ja recht, doch was sollte er tun? Marta und er hatten ihrer Ehe schon vor langer Zeit die Letzte Ölung gegeben, und zum Mönch eignete er sich einfach nicht.
    »Ja, Pater.« Janusz neigte den Kopf ein kleines Stück. An diesem Dialog hatte sich im Laufe der Jahre kaum etwas geändert. Ja, es war lästig, sich Vorträge halten lassen zu müssen, es vermittelte jedoch gleichzeitig – ebenso wie der Geruch der Kirche nach Weihrauch, abgebrannten Kerzendochten und altem Staub – auf merkwürdige Weise Geborgenheit.
    »Ich weiß, dass du und Marta euch schon vor langer Zeit auseinandergelebt habt«, fuhr Pater Pietruzki leiser, aber noch immer mit fester Stimme, fort. »Doch ihr müsst es weiter versuchen. Schon wegen des Jungen. Baut eine Brücke zueinander, hmm?«
    Janusz bewegte den Kopf, was, wie er hoffte, als Nicken gedeutet werden würde. Der Priester wartete auf eine weniger mehrdeutige Äußerung – allerdings vergeblich.
    »Sprich drei Ave-Maria und das Bußgebet«, sagte er und segnete Janusz mit der rechten Hand. »Wir treffen uns in einer halben Stunde im Eagle.«
    Janusz stand auf und duckte sich, um den Beichtstuhl zu verlassen. Das Knacken der Stufe klang wie ein Schuss. Die Damen draußen raschelten nervös wie aufgeschreckte Vögel.
    »Dzie ń dobry, Panie.« Er verbeugte sich und erkannte viele der Gesichter wieder. Die Frauen erwiderten mit hohen Stimmen den Gruß. Doch eine von ihnen, die in der Mitte der Bankreihe saß, packte ihn am Arm, als er vorbeigehen wollte.
    Es gab kein Entrinnen. Pani Rulewskas majestätische Haltung sowie die respektvolle Art, mit der die anderen Frauen sie behandelten, wiesen sie als deren Anführerin aus, obwohl sie mit Ende fünfzig einige Jahrzehnte jünger war als sie. Janusz blieb stehen und senkte den Kopf.
    Sie trug ein dunkelrotes Kostüm aus einem anschmiegsamen, weichen Stoff, das, wie er feststellte, makellos geschneidert war. Ihm fiel ein, dass sie eine Fabrik für Designerkleidung im East End besaß. Sie ließ es ihre Mitmenschen nicht vergessen, dass ein von ihren polnischen Näherinnen angefertigtes Kleid einst die Schultern von Prinzessin Diana geziert hatte.
    »Also, Pan Kiszk a , ich hoffe, dass wir bei dem bevorstehenden patriotischen Ereignis auf Ihre Unterstützung hoffen können«, verkündete sie mit ziemlich durchdringender Stimme.
    Patriotisches Ereignis? Janusz verspürte denselben Anflug von Panik wie damals mit acht Jahren, als die nächste Zeile des Katechismus plötzlich wie weggeblasen gewesen war.
    »Die Wahl?«, ergänzte sie. »Auf die älteren Leute kann man sich ja verlassen, aber mit der Jugend ist es eine andere Sache. So weit weg von zu Hause und ihren Familien lassen sie sich von straszne englischen Sitten anstecken. Alkohol, Sex, Drogen …« Pani Rulewska schüttelte den Kopf. »Das ist nicht mehr das England, das wir einmal geliebt haben.«
    Die anderen Frauen nickten und murmelten zustimmend. Auch Janusz nickte, und zwar nicht nur aus Höflichkeit: Das England, in das er vor einem Vierteljahrhundert gekommen war, mochte grauer und langweiliger gewesen sein. Aber gleichzeitig auch freundlicher und zivilisierter. »Oder werde ich langsam ein alter, verknöcherter Spießer?«, fragte er sich.
    »Sie sind bekannt und werden geachtet – von den meisten jedenfalls …«, schränkte sie ihr Lob ein. »Sie können die jungen Menschen erreichen und ihnen erklären, wie der neue Präsident das Land wiederaufbauen und Arbeitsplätze für alle schaffen wird, damit sie zurück nach Hause können, wo sie hingehören.«
    Obwohl Janusz Politikern instinktiv misstraute, glaubte er, dass die Partia Renasans Polen vielleicht einen Ausweg aus der Misere aufzeigen konnte, in der das Land nach zwanzig Jahren Demokratie steckte. Gut, die von jahrzehntelangen kommunistischen Fehlentscheidungen gebeutelte Wirtschaft war wieder auf dem aufsteigenden Ast, doch es gab noch immer nicht genügend Arbeitsplätze, um den Massenexodus junger Leute ins Ausland, zumeist nach Großbritannien, aufzuhalten. Die eleganten Plätze aus der Habsburgerzeit waren unter dem Ansturm von Fastfoodketten und Horden von Junggesellenabschied feiernden Engländern
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