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Sündenfall: Roman (German Edition)

Sündenfall: Roman (German Edition)

Titel: Sündenfall: Roman (German Edition)
Autoren: Anya Lipska
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fast nicht mehr wiederzuerkennen, und wenn es nicht bald gelang, Polens junge Generation aus dem Exil nach Hause zu locken, würde das Land rasch seine Identität verlieren.
    Janusz gefielen die großen Ziele der Partei; ein gewaltiges Wiederaufbauprogramm, um Arbeitsplätze zu schaffen und die Auswanderer nach Hause zu holen – und auch die Art und Weise, wie sie die Kirche, die Gewerkschaften und die Intelligenzia, die in den Achtzigern unter der Solidarność -Fahne gemeinsam das kommunistische Regime bezwungen hatten, wieder an einen Tisch holte. Die Partei hatte bereits den Sejm und den Senat erobert, und alles deutete darauf hin, dass ihr Chef, Edward Zamorski – ein hoch geachteter Solidarność -Veteran, der während des Kampfes für die Demokratie wiederholt im Gefängnis gesessen hatte und gefoltert worden war – der nächste Präsident werden würde.
    Das war ja alles schön und gut, doch in einem T-Shirt mit Parteilogo von Tür zu Tür zu gehen war nicht wirklich Janusz’ Sache. Also murmelte er ein paar ausweichende Floskeln, redete sich, typisch Mann, auf berufliche Überlastung heraus, verbeugte sich mit äußerster Höflichkeit vor den alten Damen und machte sich rasch aus dem Staub. Den ganzen Weg den Mittelgang entlang spürte er ihre Blicke in seinem Rücken.
    Vor der letzten Nische blieb er unter dem milden Blick einer blau gewandeten, von einem schimmernden Wald von Teelichtern in roten Hüllen erleuchteten Gipsmadonna stehen, bat um Vergebung für seine Notlüge und bekreuzigte sich.
    Da bis zum abendlichen Ansturm noch eine gute Stunde Zeit blieb, war im Eagle and Child auf der anderen Seite des Islington Green nur das Klirren der Gläser zu hören, die gerade gespült und gestapelt wurden.
    Janusz bestellte eine Flasche Tyskie für sich und einen Büffelgraswodka für den Priester. Als er vor über zwanzig Jahren nach London gekommen war, waren diese exotischen Getränke außerhalb der polnischen Gemeinde unbekannt gewesen, doch das hatte sich seit der Masseneinwanderung junger Polen nach dem EU -Beitritt drastisch geändert. Janusz konnte sich noch immer ein Lachen nicht verkneifen, wenn er hörte, wie sich Engländer mit der Bestellung von Wyborowa , Okocim oder Ż ubr ó wka abmühten.
    Er nahm die Getränke mit in den »Biergarten«, eine graue, mit Brandlöchern übersäte und von einigen struppigen Büscheln Pampasgras eingerahmte Terrasse, wo er sich unter einen Heizpilz setzte. Es war zwar ein kühler Tag, doch ein Bier ohne Zigarre war eben kein richtiges Bier.
    »Noch mehr fleischliche Sünden?«, sagte Pater Piotr Pietruzki und klopfte Janusz, der sich gerade eine Zigarre anzündete, auf die Schulter. Der alte Mann war auch in seiner Freizeit freundlich und schalkhaft.
    »Auf deine Gesundheit«, fuhr er fort und trank einen Schluck Wodka, um sich aufzuwärmen. »Also, wie laufen … die ›Geschäfte‹?« Die spöttischen Anführungszeichen waren deutlich zu hören.
    »Nicht so gut. Liquiditätsprobleme … bis ich bei einigen Dreckskerlen, die Schulden bei mir haben, mein Geld eintreiben kann.«
    Der Priester musterte Janusz über den Rand seines Glases hinweg.
    »Nur mithilfe meiner Überredungskünste, Pater.« Ein versöhnliches Grinsen huschte über sein breites Gesicht.
    »Wenn ich daran denke, dass du einmal Jahrgangsbester warst. Und das nicht an irgendeiner Universität, sondern an der Jagiello ń ska!«, stellte der Priester zum wohl hundertsten Mal fest.
    Janusz gestattete sich ein kurzes Augenrollen.
    »So ein wacher Verstand, hat Professor Zygurski mir erzählt«, fuhr der Priester kopfschüttelnd fort. »Natürlich wäre die Theologie den Naturwissenschaften vorzuziehen gewesen, aber dennoch: was für eine Vergeudung gottgegebener Talente.«
    »Es waren nicht die richtigen Zeiten, um Aufsätze zu schreiben«, entgegnete Janusz. »Wie hätte ich auf meinem Hintern in einem gemütlichen Hörsaal sitzen und Schrödingers Katze erörtern können, während auf den Straßen Menschen totgeschlagen wurden?« Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und fügte mit finsterer Miene hinzu: »Aber vielleicht hätte es ja für die beschissenen Bunsenbrenner noch einen besseren Verwendungszweck gegeben.«
    Der Priester zupfte sich am Ohrläppchen und beschloss, den Kraftausdruck zu überhören.
    Die frühen Achtziger waren für alle ein Umbruch und gefährlich gewesen, dachte er – vor allem für die Jugend. Obwohl die von Solidarność organisierten Demonstrationen im Großen und
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