Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Süden und der Straßenbahntrinker

Süden und der Straßenbahntrinker

Titel: Süden und der Straßenbahntrinker
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
nicht, was er vorhat. Bitte kommen Sie…«
    Ich rannte zum Taxistand.
    Zurückzurufen traute ich mich nicht. Offenbar hatte sie ein Handy bei sich, das Holzapfel nicht bemerkt hatte. Was wollte er von der jungen Frau? Er kannte sie überhaupt nicht.
    Vor dem Hochhaus auf der Theresienhöhe sprang ich aus dem Wagen. Ich klingelte bei verschiedenen Mietern. Jemand drückte den Türöffner und ich lief in den achten Stock hinauf.
    Weil auf mein Klingeln und Klopfen niemand öffnete, schrieb ich meinen Namen auf einen Zettel meines kleinen Blocks. Vorsichtig, damit es nicht knickte, schob ich das Blatt bis zur Hälfte zwischen Tür und Rahmen durch. Dann klopfte ich noch einmal.
    »Herr Holzapfel«, sagte ich, den Mund nah an der Tür.
    »Bitte lassen Sie mich rein! Ich bin allein hier.«
    Minuten vergingen. Ein Schlüssel klickte. Die Tür ging einen Spalt breit auf.
    »Hallo, Herr Holzapfel«, sagte ich.
    »Polizei«, sagte er.
    »Ja«, sagte ich. »Polizei, aber im Urlaub.«
    »Ich hab auch Urlaub«, sagte er.
    Mit einem festen schnellen Ruck drückte ich die Tür nach innen. Holzapfel stolperte und bevor er begriff, was geschah, hatte ich die Tür hinter mir geschlossen und den Schlüssel an der Badezimmertür gedreht.
    Silvia saß verstört auf dem Rand der Badewanne. Als ich die Tür öffnete, sprang sie auf.
    »Alles in Ordnung, Silvia«, sagte ich.
    Holzapfel stand in der Mitte des Wohnzimmers, mit einem Brotmesser in der Hand. Er starrte Silvia und mich an.
    »Ziehen Sie eine Jacke an und gehen Sie!«, sagte ich zu ihr. »Bleiben Sie im Hausflur und sprechen Sie mit niemandem!«
    »Und Sie?«, fragte sie angstvoll.
    »Ich bleib hier, gehen Sie!«
    Hastig riss sie eine Wildlederjacke vom Bügel, warf Holzapfel noch einen unsicheren Blick zu und öffnete die Wohnungstür.
    »Danke«, sagte ich.
    Als sie draußen war, schloss ich die Tür, drehte mich um, sah Holzapfel in die Augen und machte fünf Schritte auf ihn zu, so schnell, dass er heftig erschrak, als ich ihm eine Ohrfeige verpasste und auf die Hand schlug, in der er das Messer hielt. Er ließ es fallen und ich hob es auf. Dann packte ich ihn, schleifte ihn zum Sofa und pflanzte ihn darauf.
    Er leistete keinen Widerstand.
    »Sitzen bleiben!«, sagte ich.
    Ich legte das Messer in die Schublade zurück, nahm mir einen Stuhl und setzte mich vor Holzapfel hin.
    »Wie heißen Sie?«, fragte ich.
    Er antwortete nicht. Saß da in seinen geborgten Sachen, die ihm zu groß waren, und schaute mich an oder durch mich hindurch oder an mir vorbei.
    »Sie waren in Salzburg«, sagte ich. »Sie haben bei Esther übernachtet, Sie haben ihre Hose, ihren Pullover und ihre gelbe Jacke an. Und der Freund Ihrer Exfrau hat Sie verprügelt. Und jetzt will ich wissen, warum Sie die junge Frau, die in dieser Wohnung lebt, als Geisel genommen haben. Was wollen Sie hier?«
    Er antwortete nicht.
    Ich dachte nichts, als ich den Entschluss fasste. Ich hatte die Idee und die Idee setzte sich auf eine unheimliche Weise selber in die Tat um: Wie auf ein inneres Kommando hin sprang ich auf, packte Holzapfel an der Schulter, hob ihn hoch, drehte mich mit ihm zweimal im Kreis und warf ihn zurück aufs Sofa. Er prallte gegen die Rückenlehne, rollte nach vorn und kippte auf den Boden.
    Aus seiner Nase tropfte Blut auf das dezente Grau des Teppichs. Holzapfel keuchte. Sein Gesicht war kalkweiß. Seine Haare standen noch struppiger ab als sonst. Den Mund hatte er weit geöffnet, rasselnde Geräusche kamen aus seiner Kehle, und sein Kinn war blutverschmiert. Er blickte schräg zu mir herauf, überaus fassungslos. Ich holte eine Papierrolle und ein nasses Geschirrtuch aus der Küche. Dann drückte ich Holzapfels Kopf nach hinten und presste mehrere Papierstreifen auf seine Nase, so lange, bis er kapierte, dass er sie selbst festhalten musste. Das Tuch legte ich auf den Teppich, über die Flecken. Dann packte ich Holzapfel erneut an der Schulter, wuchtete ihn in die Höhe und setzte ihn aufs Sofa.
    »Nicht den Kopf bewegen!«, sagte ich.
    Vielleicht hatte ich es aus Schlafmangel getan, vielleicht weil schon den ganzen Morgen über mein Befinden in den Keller zu rasen schien und ich spätestens nach dem Abschied von Ute hätte nach Hause gehen und mich an meiner Trommel verausgaben sollen. Vielleicht aber ertrug ich nur diesen jämmerlichen Anblick nicht mehr. Und vielleicht wollte ich mich endlich von dieser Gestalt befreien, die mich gezwungen hatte, in meine Vergangenheit zurückzukehren, ohne
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher