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Süden und der Straßenbahntrinker

Süden und der Straßenbahntrinker

Titel: Süden und der Straßenbahntrinker
Autoren: Friedrich Ani
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dass ich verstand, wieso ich das zugelassen hatte.
    »Wieso?«, sagte ich.
    Den Kopf im Nacken, murmelte er etwas, röchelte und zitterte mit den Beinen.
    Ungeduldig ging ich in die Küche, holte Eis aus dem Gefrierfach, klopfte ein paar Würfel aus dem roten Plastikbehälter, wickelte sie in ein Tuch, nahm Holzapfel die blutverschmierten Papiertücher aus der Hand und drückte ihm das Eis auf die Nase, die langsam aufhörte zu bluten.
    Die Tücher warf ich in die Toilette. Dann wusch ich mir die Hände und das Gesicht, trocknete mich ab und setzte mich wieder auf den Stuhl vor Holzapfel.
    »Haben Sie Ihre Freundin vergiftet?«, fragte ich.
    Er schniefte.
    »Ich möchte, dass Sie mir zuhören«, sagte ich.
    Langsam, mit halb geöffneten Augen, senkte er den Kopf.
    »Sie… Sie haben mich geschlagen…«, krächzte er.
    »Nein«, sagte ich. »Tuts weh?« Zaghaft schüttelte er den Kopf. Wir schwiegen.
    Er betrachtete das blut und wasserdurchnässte Tuch in seinen Händen.
    »Den Kopf gerade halten!«, sagte ich.
    »Warum haben Sie das getan?«, fragte er. Ich sagte: »Damit Sie aufwachen.«
    Er verzog den Mund.
    »Das schadet doch nicht«, sagte er stockend. »Das schadet doch nicht, wie ich bin.«

15
    T atsächlich sah er mir jetzt direkt in die Augen. Zum ersten Mal.
    »Wo war ich?«, sagte er mit dünner Stimme.
    Er sah sich um. Wollte aufstehen, schaffte es aber nicht. Wusste nicht, wohin mit seinen Händen. Ich nahm ihm das Tuch mit den fast geschmolzenen Eiswürfeln ab, knüllte es zusammen, ging in die Küche und warf es in den Ausguss.
    »Diese Wohnung kenn ich von außen«, sagte er. »Hier bin ich gemeldet. Clarissa hat nichts dagegen, schadet ja niemandem.«
    »Sie hat mir alles erzählt«, sagte ich.
    »Alles?«, fragte er.
    »Sie sind Schauspieler, Sie spielen, Sie verwechseln die Wirklichkeit mit ihrer Phantasie.«
    »Tun Sie das nie?«, fragte er. Ich schwieg.
    »Ich war verreist«, sagte er. Sein Blick war verschwommen, er breitete die Hände aus, dann ballte er sie zu Fäusten, blickte an sich hinunter wie an einem unbekannten Körper. »Wo war ich?«
    »Sie waren in der Stadt, Sie waren bei der Polizei…«
    »Ja«, sagte er. »Ja, ja…« Angestrengt dachte er über etwas nach. »Bei der Polizei, bei… Ihnen. Ich erkenne Sie wieder. Sie sind der Mann, der mich ausgefragt hat… im Bahnhof.«
    »Woran erinnern Sie sich noch, Herr Holzapfel?«
    Er presste die Knie aneinander und stemmte die Arme auf die Oberschenkel.
    »Inge ist tot«, sagte er. »Sie ist gestorben.«
    »Haben Sie Inge umgebracht?«
    Er hob den Kopf, zupfte an Esthers blauem Rollkragenpullover.
    »Ich?«, sagte er. Dann senkte er den Kopf. »Ich hab ihr Tabletten gegeben. Mit Alkohol. Ich hab ihr den Drink gegeben. Ich.«
    »Warum, Herr Holzapfel?«
    »Warum?« Er sprang auf. »Weil sie wegwollte. Wollt weg, deswegen! Sie hat Tabletten sowieso genommen, die Jahre… hat Tabletten gefressen…«
    Mir fiel auf, in welch krassem Gegensatz seine jetzige Sprechweise zu der Art stand, wie er sich ausdrückte, als wir uns das erste Mal begegnet waren. Vor knapp einer Woche hatte er sich um korrekte Sätze bemüht, wie ein Sprecher im Rundfunk, und nun redete er schnell und unaufmerksam, als wäre ihm nicht bewusst, was er redete.
    »Wann haben Sie Inge umgebracht?«, fragte ich.
    »Am Sonntag«, sagte er schnell. »Am Sonntag oder am Montag.«
    »Sicher?«
    »Sicher, sicher! Nein!« Er hob die Hand. »Am Dienstag wars, am Dienstag!«
    »Wie haben Sie sie umgebracht, Herr Holzapfel?«
    »Sag ich Ihnen doch!« Er wurde immer erregter, immer nervöser. »Tabletten, Alkohol, Mischmasch, fertig!«
    »Und den Mischmasch haben Sie Inge zu trinken gegeben«, sagte ich.
    Da fing er an zu lachen. Er lachte laut und hektisch, sein Oberkörper bebte, er bückte sich und klopfte sich auf die Schenkel und wippte in den Knien. Es sah aus, als wäre er übermütig wie ein Kind.
    »Der Mischmasch!«, rief er. »Der Mischmasch! Den hat sie getrunken, hahaha. Den hat sie getrunken!«
    »Wo hat sie den Mischmasch getrunken?«, fragte ich. »In der Küche?«
    »In der Küche?«, wiederholte er. »In der Küche?« Er holte Luft. Sein Lachen war verebbt. »In der Küche. Ja.«
    »Und dann haben Sie die tote Inge ins Bett gelegt.«
    »Ja!«, sagte er laut.
    »Und dann haben Sie neben ihr geschlafen«, sagte ich.
    »Nein!«, schrie er.
    Mit einem Satz war er an der Balkontür und schlug mit dem Kopf dagegen. »Sie war tot! Ich schlaf nicht neben einer Toten,
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