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Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Titel: Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel
Autoren: Friedrich Ani
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Seitenstraße, aus Übermut, gedankenlos oder in Gedanken an Lucy, ohne die sie ganz bestimmt nicht so schnell gesund geworden wäre.
    Wo immer sie sich aufgehalten haben mochte: Jemand hatte sie gesehen und angesprochen und mitgenommen. Und sie hatte sich mitnehmen lassen. Davon waren meine Kollegen vom zuständigen Dezernat bis heute überzeugt, und ich war es ebenfalls. Eine Suchaktion mit Tauchern im See hatte eher der Beruhigung der Eltern und der Bevölkerung gedient als dem Zweck, neue Erkenntnisse zu gewinnen. An einen Unfalltod der kleinen Anna glaubte kein Mitglied der anfangs fünfundzwanzig-, später vierzigköpfigen Sonderkommission .
    Inzwischen lagen fast viertausend Hinweise aus dem In- und Ausland vor. Verteilt auf sämtliche Bundesländer, waren dreißigtausend Plakate mit Annas Bild aufgehängt worden, Fernsehsender hatten wiederholt über das Schicksal des Mädchens berichtet, und die Boulevardpresse rüstete sich für den Jahrestag, an dem sie mit Kritik an den Fahndern nicht sparen würde .
    Immer wieder mussten sich die Kollegen im Lauf des Jahres Vorwürfe anhören, sie hätten schlampig gearbeitet oder sie seien schlicht unfähig, wie der Reporter einer überregionalen Zeitung schrieb, die »verschworene Dorfgemeinschaft zu knacken«. In Jagodas Ordner stieß ich auf einen Packen von kopierten Artikeln, in denen Journalisten die Arbeitsweise der Kripo massiv in Frage stellten, vor allem, was den Umgang mit dem Verdächtigen Nikolaus K. anging. Dabei traf diese Bezeichnung auf den Friseur überhaupt nicht zu, die Kollegen hatten ihn nie als Verdächtigen vernommen, immer nur als Zeugen .
    Als jedoch einem Lokalreporter ein Foto gelang, auf dem K. vor seinem Laden von zwei Kommissaren abgeholt wurde, stürzten die Gerüchte ins Uferlose .
    Nachdem er bereits dreimal im ehemaligen Feuerwehrhaus, wo die Soko »Anna« ihre Lagebesprechungen abhielt und alle Informationen zusammenliefen, befragt worden war, weigerte er sich, ein viertes Mal dasselbe zu erzählen. Aufgrund der Aussage einer Zeugin sei K. am fünften Juli mit seinem Range Rover durch die Prälat-Kremer-Straße gefahren, wo er, nicht weit vom Kindergarten entfernt, angehalten und mit einem dunkelhaarigen Mädchen am Straßenrand gesprochen habe. Die Zeugin, eine Frau aus Taging, dachte sich nichts weiter dabei, da der Wagen ein örtliches Kennzeichen aufwies, zudem hätte sie eine Verabredung bei einer Bekannten gehabt und sei schon zehn Minuten zu spät dran gewesen. Bedauerlicherweise erinnerte sie sich erst einen Monat nach dem Verschwinden des Mädchens an diesen Vorfall. Sie habe, erklärte sie meinen Kollegen, einfach nicht mehr daran gedacht, weil sie sonst nie in dieser Gegend unterwegs sei. An jenem Samstag habe sie einer kranken Kollegin, die wie sie im Rathaus arbeite, Lebensmittel vorbeigebracht, worum diese sie gebeten hatte .
    Daraufhin hätten sie sich »verratscht«, und so sei sie erst kurz vor drei in aller Eile wieder abgefahren .
    Den Range Rover ausfindig zu machen dauerte keine zwei Tage, doch sein Besitzer stritt zunächst ab, zur fraglichen Zeit überhaupt unterwegs gewesen zu sein .
    Schließlich gab er zu, »wegen der besonderen Umstände«, wie er sich ausdrückte, gelogen zu haben. Er sei nämlich betrunken gewesen. Deswegen habe er auch nicht mehr gewusst, wo genau er langgefahren sei. Mit einem Mädchen am Straßenrand habe er aber garantiert nicht gesprochen. Als Erklärung für seine Trunkenheit gab er zuerst an, bei einem Frühschoppen »praktisch versumpft« zu sein, dann rückte er endlich damit heraus, dass er ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau habe, bei der er sich, da ihr Mann bei einer Konferenz in München gewesen sei, von Freitag auf Samstag aufgehalten habe, auch noch den ganzen Vormittag, wobei sie zwei Flaschen Champagner getrunken hätten. »Wegen der Gaudi«, wie er zu Protokoll gab. Eindringlich bat er darum, den Namen der Frau geheim zu halten, sie sei nämlich die Frau des Kämmerers der Gemeinde, eines angesehenen Rechtsanwalts.
    Doch auch bei seiner vierten Vernehmung bestritt er, wegen eines dunkelhaarigen Mädchens angehalten zu haben. Wie meine Kollegen recherchierten, tauchte K., nachdem er seine Geliebte verlassen hatte, in seinem Friseurladen auf, ärgerte seine beiden weiblichen Angestellten, die bis vier Uhr dableiben mussten, obwohl sich keine Kunden mehr angemeldet hatten, mit unangemessenen Bemerkungen über ihr Aussehen und ihr berufliches Engagement und
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