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Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Titel: Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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angesammelt hatte, würde ich vier bis fünf Jahre leben können, falls ich den Ort, den ich mir ausgesucht hatte, nicht verlassen musste.
     
    Ich lebe hier in einem Hotel, das dem Freund eines ehemaligen Kollegen gehört. Für das Zimmer im fünften Stock zahle ich monatlich einen minimalen Betrag, und wenn ich an der Bar trinke, bekomme ich Prozente. Auch fürs Essen .
    Keiner meiner ehemaligen Kollegen aus dem Dezernat 11 kennt meinen Aufenthaltsort, auch Sonja Feyerabend und Paul Weber nicht. Von Sonja habe ich mich vor einem Jahr getrennt, und an Paul schrieb ich damals einen Brief, in dem ich ihn um Verständnis bat .
    Was ich getan habe und tue, ist vielleicht lächerlich und absurd, aber es war für mich die einzige Möglichkeit, meinen Wänden zu entkommen, die jede Nacht näher rückten und mich zu ersticken drohten. Ich wollte nicht ersticken. Ich schlief nur noch bei offenen Fenstern und nackt und auf dem Fußboden, auf dem abgenutzten grauen Teppich.
    Und hier, in diesem Hotel, in dem außer mir noch andere Dauergäste wohnen und mir aus dem Weg gehen so wie ich ihnen, begann ich zu schreiben .
    Heute Morgen kurz nach fünf habe ich damit aufgehört .
    Jetzt ist es Mittag. Und wieder thront die Sonne über den Dächern, die ich von meinem Fenster aus sehe, und in einer Stunde werde ich das Hotel verlassen, und die Stadt.

14
    » W arum denn so plötzlich?«, sagte sie mit nackter, zitternder Stimme. Und ich umarmte sie, als wollte ich sie festhalten. Dabei war ich schon fort, Erinnerungen und Fotos im Keller verstaut, eine Tasche im Kofferraum des blauen VW Käfer mit den gelben Kotflügeln, keinen Koffer, kein Zeug, zerknüllte Geldscheine, die ich mir im ersten Supermarkt des Dorfes und in den Küchen zweier Gaststätten verdient hatte, den Kopf voller billiger Songs.
    Ich stand schon nicht mehr am Ufer des Taginger Sees, als Bibiana ihre Finger in meine Haare krallte und mich in die Wange biss und zwei Schwäne um uns herumhuschten.
    Ich saß schon in Martins Wagen, den Kopf im Nacken, die Augen geschlossen, die Arme vor der Brust verschränkt, und dachte zwanghaft an das Grab meiner Mutter und das Foto meiner Eltern im Wohnzimmer von Lisbeth und Willi.
    Und Bibiana schlug mir ins Gesicht und schrie: »Du bist so feige! Du haust einfach ab, und das hast du die ganze Zeit geplant!«
    Beinah hätte ich zu ihr gesagt: »Dann komm doch mit.«
    Aber ich hatte schon zu oft gelogen .
    Sie war siebzehn und ich neunzehn, vor drei Jahren hatten wir uns kennen gelernt, kurz bevor mein Vater verschwand .
    Er war vierundvierzig damals.
    So alt wie ich, als ich München verließ, um in einer anderen Stadt unterzutauchen, ohne zu wissen, was mich erwartete und was ich erwartete und ob ich nicht bloß ein Wegewechsler war wie so viele, denen ich während meiner Tätigkeit in der Vermisstenstelle begegnet war, Männer, die die eine Seite der Straße gegen die andere in der aberwitzigen Vorstellung eintauschten, sie kämen von nun an aufrechter und atemvoller voran und sähen ein Ziel am Horizont blinken, einen den Existenzkeller für alle Zukunft erhellenden Stern. Sie rannten, diese Leute, und sie riefen einen neuen Namen, und ihr Schatten schleppte sich keuchend hinter ihnen her, und wenn sie rasteten und weinten vor eingebildetem Glück, schlürfte der Schatten geduldig die Tränen vom Asphalt.
     
    Wenn ich mich umdrehe, erschrecke ich manchmal. Da ist er und wartet auf mich.
     
    »Und wer bist du?«, sagte Evelin .
    »Tabor.«
    »Das ist Niko, mein Freund.«
    Wir nickten uns zu. Er hatte eine raffinierte Art, seine Bierflasche zu halten. Er klemmte den Flaschenhals zwischen Zeige- und Mittelfinger und ließ die Flasche auf der flachen Hand liegen. Er trank ein Bier nach dem anderen, sogar Martin hatte Mühe mitzuhalten .
    »Das ist Martin, mein bester Freund«, sagte ich .
    »Seid ihr schwul?«, sagte Niko.
    »Wieso?«, sagte Martin.
    »Er hat bloß einen blöden Witz gemacht«, sagte Evelin und schlug ihrem Freund auf den Hinterkopf. »Da kommt meine kleine Schwester!«
    Martin und ich lehnten an der Hausbar und wandten uns um.
    »Ich hab noch Chips besorgt«, sagte Bibiana.
    Und das war der Anfang.
    Ich hab noch Chips besorgt.
    Ich traute mich nicht, sie zu berühren.
    Zwei Stunden lang.
    Sie schenkte mir Chips und wir kauten ein Lächeln.
    Schauen war so schwer.
    Später tanzten wir zu Love Hurts von Nazareth und Child In Time von Deep Purple und sogar zu Bob Dylans Dream, obwohl das unmöglich ist. Bibiana

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