Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Titel: Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
Und Frau Feininger hat ihn fallen lassen, das zumindest hat mir Ihr Kollege Marienfeld anvertraut, und das stand nirgends in der Presse. Es heißt immer nur, sie hätten ein Verhältnis gehabt. Und weil er diesen Zustand nicht länger ertragen wollte, hat er Selbstmord begangen. Krank war er auch, das wusste jeder, hat auch jeder im Dorf jedem Journalisten erzählt . Das interessiert nicht. Aber die Frau hat sich von ihm abgewandt in dem Moment, als er ihre Hilfe am nötigsten gebraucht hätte. Und das werf ich ihr vor, und das werden Sie mir nicht ausreden, Herr Süden! Diese Frau hat eine Mitschuld am Tod von Pfarrer Wild. Er wollte seine Last loswerden, aber sie hat ihn nicht angehört. Und da können Sie mir erzählen, was Sie wollen, ich glaub Ihnen nicht! Und jetzt sag ich Ihnen, wie ich die Situation beurteile, und dann beenden wir dieses Gespräch.«
    »Einverstanden«, sagte ich und ging zum Tisch und blieb stehen, die Hände hinter dem Rücken .
    Ferenz richtete sich auf. »Er ist zu ihr gegangen«, sagte er und hob beide Zeigefinger in meine Richtung. »Er hat ihr alles erzählt. Alles. Die Tat. Das grässliche Vergraben der Leiche, die unvorstellbare Schuld, die er dann ein Jahr lang mit sich herumschleppte. Alles. Er wollte sich endlich befreien, er wollte einen Rat, er wollte, dass sie ihm in den finstersten Stunden seines Lebens beistand, vollkommen, wie eine Liebende, wie jemand, der sich dem anderen nicht nur in körperlicher Hinsicht absolut hingibt. Er ist zu ihr gegangen, um vor ihr niederzuknien und zu bekennen. Nicht bei seinem Gott, sondern bei ihr, der Frau, der Vertrauten, der Geliebten suchte er Hilfe und Vergebung. Und sie schickte ihn weg. Sie hatte das Band längst durchschnitten, aber sie war zu feige gewesen, es ihm zu sagen. Und nun, in diesem für ihn alles entscheidenden, grausamsten Moment, fügte sie ihm die entscheidende Wunde zu und jagte ihn ins Nichts. Anders kann ich es nicht ausdrücken: ins Nichts seiner Existenz, an der Alter und Krankheit fraßen, von der übergroßen Schuld ganz zu schweigen. Sie schloss die Tür, und er war allein. Allein in der Wüste, so allein, wie ein Mensch nur sein kann, der vom einzigen Mitmenschen, dem er sich bedingungslos und unter größter Not und gegen alle Vernunft und gegen alle Gebote und entgegen aller Moral unterworfen hat, verraten und vertrieben wurde. Lieber wollte er tot sein, als diese Leere weiter zu ertragen, diesen ungeheuerlichen Schmerz, diese Demütigung, dieses Verbrechen. Und ich wiederhole mich, ich entschuldige nicht das andere, nicht im Mindesten. Aber diese Frau …«
    Er sah zum Fenster und ruckartig zu mir. »Für die Suche nach der jungen Frau, der Tochter dieses Prominenten, wünsche ich Ihnen alles Glück, und Ihnen Gottes Segen . Auf Wiedersehen, Herr Süden.«
    Er brachte mich zur Haustür. Und als ich mich auf der Straße noch einmal umsah, stand Franziska Bergrain neben dem Pfarrer, im selben schwarzen Kleid wie auf dem Friedhof, mit einem von Verachtung verzerrten Gesichtsausdruck.
     
    »Und das war ein gespenstischer Augenblick«, sagte Lieselotte Feininger. »Hier, vor dem Bücherregal, hat er auf dem Boden gekniet, in seinem dunkelblauen Ausgehmantel, den alle Leute für schwarz halten. Warum er immer, sommers wie winters, in Schwarz rumlaufe, hätten ihn wieder und wieder ältere Frauen gefragt, hat er mir erzählt, das sei doch gar nicht nötig, auch als Pfarrer könne er doch mal freundlichere Farben tragen. Manchmal mischten sie sich auch in seinen Speiseplan ein, ja, sie schlugen ihm vor, weniger Gemüse zu essen, das mache blass, und er könne doch so eine schöne Farbe im Gesicht haben, wenn er wolle. Außerdem sei Fleisch viel gesünder, als es immer heißt, ja. Seine Gemeinde, seine Fans.«
    Mit gesenktem Kopf stand sie vor dem weißen Bücherregal, zu ihren Füßen lag ein beiger Teppich auf dem Parkettboden.
    »Ohne Ankündigung hat er sich auf die Knie fallen lassen. Ich stand da, wo Sie jetzt sind, ziemlich erschrocken . Und dann schaute er zu mir hoch, und ich hab gedacht: Wie ein Kind, wie ein Kind, das was ganz Schlimmes angestellt hat und riesengroße Angst vor Strafe hat.«
    Erregt von Erinnerungen, trat sie einen Schritt zurück und stieß aus Versehen gegen einen Sessel. Sie klammerte sich an der gepolsterten Lehne fest, indem sie die Arme nach hinten streckte und stocksteif stehen blieb .
    »Er war ja nicht gelenkig«, sagte sie. »Und ständig hatte er Rückenschmerzen. Wenn er sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher